buchmessern: Kein Ort zum Denken
■ Nicht einmal einer für Gespräche. Aber: Die Bedeutung des Internets ist erkannt
Joseph Weizenbaum, Professor am Massachusetts Institut of Technology, soll einen Vortrag über „Medienkompetenz“ halten. Er sieht aus wie Albert Einstein, streicht sich den grauen Schnauzbart zurecht und tritt ans Rednerpult. „Medienkompetenz ist identisch mit der Fähigkeit, kritisch denken zu können“, sagt er, nickt tiefsinnig in die Runde und setzt sich wieder. Das Geklingel, Gefiepse und Gemurmel in Halle 4, wo die elektronischen Medien ausgestellt sind, ist sowieso lauter. Michael Krüger, Chef des Hanser Verlages, beendet eine Diskussion über literarisches Übersetzen im „Internationalen Zentrum“ schon nach 20 Minuten abrupt. „Die Frage, ob der Autor der bessere Übersetzer ist, können wir nicht beantworten. Noch Fragen? Nein? Auf Wiedersehen.“
Irene Dische, die neben ihm sitzt, wirkt sehr erleichtert. Die Buchmesse ist kein Ort zum Denken. Kein Ort fürs Gespräch. Wer klug ist schweigt. Jede Veranstaltung ist Staffage. Wer glaubt, es gehe darum, ein Thema ernsthaft zu erörtern, ist naiv und hat schon verloren in dieser großen Anstrengung, Betriebsamkeit und kulturelle Vielfalt darzustellen. Und doch ergibt sich aus der Summe der Simulationen ein real existierender Kulturbetrieb und eine bedeutende Messe. Sehr dringlich, wie ein Politiker, spricht Fred Breinersdorfer, Vorsitzender des Schriftstellerverbandes (VS), hinter seinem aufgeklappten Laptop hervor. Auf dem Podium der VS-Pressekonferenz sitzen zwar noch andere Vorstandsmitglieder, aber eigentlich spricht nur er: Der VS, das bin ich. Und also ist der VS ab sofort „der neue VS“. Hans Dampf Breinersdorfer will einen modernen Schriftstellerverband als Dientleistungsunternehmen. Das Kürzel VS soll zum Markennamen werden. „Den ganzen Komplex Literatur im Internet“ hält er für so wichtig, daß er ihn im Handstreich zur „Chefsache“ erklärt. Breinersdorfers Lieblingsidee aber ist die VS-Agentur, die Autoren bei Vertragsverhandlungen unterstützen soll. Denn wer ein bißchen wichtig sein will heutzutage, der braucht einen Agenten; noch besser, er ist selber einer.
Fernseh- und Krimiautor Breinersdorfer verkörpert perfekt den „neuen VS“, der sich, nach den ideologischen Selbstzerfleischungen der 80er Jahre und dem anschließenden Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit nun neues Renommee im Bereich Merchandising erobern will. Bei Autoren kommen nicht alle Ideen Breinersdorfers gut an. Auf einer Podiumsdiskussion im „Lesezelt“ erntet er heftigen Widerspruch von Matthias Altenburg. Breinersdorfer will in der Literaturförderung „weg vom Almosencharakter“ und deshalb Teile von Stipendien zurückzahlen lassen, wenn das geförderte Buch ein Erfolg wird – ähnlich wie in der Filmförderung. Das würde „Autoren in die Verantwortung nehmen“. Autor Altenburg gefällt das überhaupt nicht, ebensowenig wie Breinersdorfers Wunsch nach mehr „Glamour und Stardust“ im Literaturbetrieb. „Gräßlich“, sagt Altenburg. „Ich will nicht vor Kameras gezerrt werden und Dekor sein. Ich weiß, daß man das mitmachen muß, wenn man bei Sinnen ist, aber das ist nicht autorengemäß. Eigentlich will ich den Rolladen runterlassen und schreiben.“ Und weil das so ist, sähe sich Altenburg am liebsten mit Blankoschecks und ohne weitere Ansprüche gefördert. Noch wehren sich die Autoren vereinzelt gegen eine Inanspruchnahme, bei der das Schreiben nur noch Nebensache neben Selbstdarstellung und Vermarktung ist. Doch Markt und Öffentlichkeit sind unersättlich. Am Hanser-Stand wird Antonio Tabucchi von der ARD dekorativ ins Bild gerückt. Er sitzt, ausgestattet mit Hut, Brille, Schnauzbart, Fliege und schwarzem Anzug hinter einem gläsernen Regal, in dem seine Bücher aufgestellt sind. Die Kamera probt ein ums andere Mal die Vorbeifahrt. Tabucchi sitzt und sitzt, sphinxhaft lächelnd, geduldig. Eine Menschenmenge bildet sich um ihn, wie überall, wo Kameras sind. Wer von einer Kamera beobachtet wird, hat das Recht auf Privatheit verwirkt. Alle dürfen ihn jetzt anstarren; die Regeln der Höflichkeit sind dann außer Kraft gesetzt.
Und Portugal? Wo bleibt im Gewimmel das Thema? Zwar gibt es über die ganze Stadt verteilt jeden Abend portugiesische Lesungen, Ausstellungen, Tanz. Der Portugal-Pavillon auf dem Messegelände wirkt jedoch so abweisend wie eine Mondfähre. So sehr die Portugiesen immer wieder ihre Zugehörigkeit zu Europa betonen und ihrem Buchmessenauftritt große Bedeutung beimessen – diese Architektur spricht die Sprache der Fremdheit, Abkapselung, Verschlossenheit: Aliens auf der Messe. Jörg Magenau
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