britanniens segen – die seuche:
von RALF SOTSCHECK
Die Maul- und Klauenseuche ist ein Segen für die britische Tourismusindustrie. So hat sie wenigstens einen Sündenbock, dem sie 2,5 Milliarden Pfund Einkommensverluste, die in diesem Jahr durch ferngebliebene Auslandstouristen entstehen, in die Schuhe schieben kann. In Wirklichkeit liegt es an den exorbitanten Hotelpreisen, dem lausigen Essen, den verstopften Autobahnen und den dreckigen Stränden, dass niemand auf die Insel will. Und dann noch das Wetter. „Sie müssen jederzeit mit Regen rechnen“, heißt es in einem Reiseführer wahrheitsgetreu.
Dabei tut Premierminister Tony Blair sein Bestes, um der maroden Industrie auf die Sprünge zu helfen. Er geht mit gutem Beispiel voran und lässt sich das etwas kosten. Blair sagte seinen geplanten Urlaub im französischen Carcassonne ab und nahm stattdessen die Bahn nach York, um Solidarität mit dem gebeutelten Landvolk zu zeigen. Die Fahrt mit der überfüllten und verspäteten Eisenbahn kostete ihn vier Pfund mehr als der Flug nach Carcassonne, und sein Hotelzimmer war gar doppelt so teuer – pro Nacht, versteht sich. Blair hofft, dass das Stimmvieh ein Langzeitgedächtnis hat, damit sich der Opferurlaub in vier Jahren an der Wahlurne bezahlt macht.
Aber was wollte Blair eigentlich auf dem Land? Das idyllische Bild vom Dorfplatz mit Cricket und warmem Bier, das sein Vorgänger John Major besungen hat, gibt es nicht mehr. Die Bauern haben dem Charme des Landlebens längst mit Pestiziden und Nitraten den Garaus gemacht, die Überproduktion in der Viehwirtschaft geht nun in Flammen auf. Aber, wie gesagt, die Maul- und Klauenseuche hat der Tourismusindustrie nicht das Geschäft verdorben.
Eher schon ein Reiseführer, der vor den erschreckenden Preisen, den miserablen Hotels und den nächtlichen Schlägereien zwischen besoffenen Dünnbiertrinkern warnt. Selbst am Essen hat der „Lonely Planet Guide“ für Großbritannien etwas zu mäkeln: „Touristen scheinen das traditionelle englische Frühstück zu mögen, weil sie solche Sachen zu Hause nicht oft essen. Täten sie es, würden sie sterben.“ Der Reiseführer macht alles herunter, was den Briten heilig ist. Die Mathew Street in Liverpool, Geburtsstätte der Beatles? „Dort kann man sich nicht bewegen, weil alle das Beatles-Phänomen melken“, heißt es. Hastings? „Löst Depressionen aus.“ Das will der Tourismusmanager von Hastings, Kevin Boorman, nicht auf sich sitzen lassen. „Die Leute von ‚Lonely Planet‘ leben auf einem anderen Planeten“, murrt er. „Wir sind die Boheme, und die sind rückständig.“
Gelassener sieht es Richard Tobias. „Er ist nicht sehr hilfreich“, sagt der Geschäftsführer des „Britischen Verbands für ankommende Touristen“ über den Reiseführer lediglich. Gibt es etwa auch einen Verband für abreisende Touristen? Oder für daheim gebliebene Einheimische? Denn die haben den größten Schaden angerichtet: 5,2 Milliarden Pfund sind der Tourismusindustrie durch die Lappen gegangen, weil die Briten nicht ihrem Land herumgereist sind. Wenn selbst die Einheimischen von der Insel die Nase voll haben, was sollen dann Auslandstouristen dort?
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