briefe aus island: Schützenswertes Erbe: Reykjavíks Goethe-Zentrum
Im Elfenstrudel verschwunden
„Zu Goethes 250. Geburtstag am 28. August 1999 war das Goethe-Zentrum in Reykjavík leider geschlossen“, rief mir lachend der Korrespondent der isländischen Tageszeitung morgunbladid kurz vor meiner Abreise in Berlin zu. Nach der Schließung des staatlichen Goethe-Institutes Reykjavík im März 1998 wurde die damals angestrebte Neugründung von der Münchner Zentrale mutig als neues Modell gepriesen: Mit einem Siebtel des alten Etats ausgestattet und zwei Halbtagsstellen sollte es seinen Vorgänger übertreffen. Als bemerkenswerte Neuigkeit sollte die Institution als „Partner“ der Goethe-Institute eigene Geldquellen in Island erschließen.
Die Isländer waren natürlich nicht so begeistert davon, dass sie von nun an deutsche Kultur selbst bezahlen sollten. So hielt sich die Unterstützung in überschaubaren Grenzen. Unterstützung aber gab es von der Künstlerin Ásta Ólafsdóttir, mit der ich zuvor im August 1998 das weltweit erste private Goethe-Institut in Reykjavík gegründet hatte. Freundlicherweise hatte eine Freundin von Ásta, die bei der Telefongesellschaft arbeitete, seinerzeit die hinfällige Telefon- und Faxnummer des im März 1998 geschlossenen staatlichen Goethe-Institutes für unsere private Neugründung freigehalten. So konnten wir – allerdings ohne nennenswertes Budget – die Geschäfte auf der alten Leitung des entsorgten Institutes weiterführen.
Am 16. Oktober, zwei Monate nach der Privatisierung des Goethe-Institutes, entschloss sich die Zentrale ein, „Goethe-Zentrum“ zu eröffnen. Der neue Direktor Frank Albers rief Ásta an und bat sie inständig, ihm doch die alte Telefon- und Faxnummer zu überlassen. Nun, wir gaben sie ihm und überreichten der Zentrumsbibliothek noch ein paar an das private Institut gestiftete Bücher. An einer Kooperation mit dem privaten Goethe-Institut sei er sehr interessiert, betonte der frisch gekürte Nachfolger der entsorgten Coletta Bürling. Die Gründung unseres privaten Goethe-Institutes, der er nach Meinung vieler isländischer Kunstfreunde seine Arbeitsstelle verdankt, fand er ebenso originell wie die Zentrale in München. Der neue Direktor zeigte sich zudem offen für weitere Vorschläge. Wir nahmen das Angebot an und offerierten dem Goethe-Zentrum zum Goethe-Jahr ein Konzept mit dem Titel „Goethes isländische Reise“. Denn leider war Goethe selbst nie in Island, aber das könnte ja nachgeholt werden. Und immerhin hatte der Geheimrat auf seiner „Italienischen Reise“ in Rom einen Ministranten ein isländisches Gedicht vortragen hören.
Wir beauftragten die Künstler Frieder Schnock, Renata Stih und Käthe Kruse ein Konzept für Goethes isländische Reise zu entwerfen und stellten eine Mappe mit deren Entwürfen zusammen. Zudem sollten die Gebärdendolmetscherinnen Andrea Schulze und Dina Tabbert deutsche Elfenlieder gebärdensprachlich umsetzen und diese in Island präsentieren. Zentrumsdirektor Frank Albers war überaus begeistert, als ich ihm in Berlin die Entwürfe und Konzepte der Künstler präsentierte. Doch danach wurde es still. Emails und Briefe an das Goethe-Zentrum verschwanden spurlos, blieben sämtlich ohne Antwort. Als ich dann am 28. August 1999, Goethes Geburtstag, in Reykjavík weilte, eilte ich mit düsteren Ahnungen zum Goethe-Zentrum, das in dem ehemaligen Gebäude der Bisexuellen Initiative gegenüber dem alten Schwulenzentrum in der Lindagata Quartier bezogen hatte und fand die Tür verschlossen: drei Monate Sommerpause. Ich warf einen Brief in den Türschlitz: „Lieber Frank Albers – Bitte melde dich!“ Denn die Künstler, die auf die isländische Reise mitkommen sollten, wollten natürlich wissen, ob und wie die Planungen vorangetragen wurden.
Irgendwie wurde klar, dass das Goethe-Zentrum längst von Elfen heimgesucht worden war, die die Inhaber der Halbtagsstellen in einen unentrinnbaren Zeitstrudel gezogen hatten. Doch plötzlich, als ich schon gar nicht mehr damit rechnete, zuckte ein letzter Lebensfunke aus dem Diesseits auf. Im Oktober 1999 veranstaltete das private Goethe-Institut Reykjavík im Berliner Podewil die „Islandshow“, zu der ich mit Hilfe der „Freunde Guter Musik e. V.“ einige Künstler und Musiker aus Island einladen konnte. Der isländische Botschafter Ingimundur Sigfusson unterstützte bei seinen einleitenden Worten auf der Bühne des Podewils die Initiative privates Goethe-Institut und wünschte auch weiterhin viel Erfolg bei der Vermittlung von isländischer und deutscher Kultur.
Da nun endlich meldete sich das Goethe-Zentrum aus Reykjavík. Am anderen Ende der Leitung warnte ein erregter Frank Albers vor unabsehbaren Folgen für meinen Lebensunterhalt: Die Zentrale in München sei sehr darüber aufgebracht, dass die Veranstaltung im Podewil als eine des „Goethe-Instituts Reykjavík“ auf den Prospekten des Podewil publiziert worden sei. Das Goethe-Institut Reykjavík gebe es schließlich nicht mehr, es sei längst geschlossen. Ob denn der Begriff „Goethe“ und „Institut“ rechtlich geschützt seien, wollte ich wissen. Frank Albers bejahte und schloss eine gut gemeinte Warnung an: Ich müsse mich darauf gefasst machen, in den nächsten Wochen eine Unterlassungserklärung vom Rechtsanwalt der Münchner Goethe-Zentrale zu bekommen. Der Spaß könne teuer für mich werden, so schätzungsweise um die 20.000 Mark. Fast so viel wie eine Ganztagsstelle, dachte ich und wehrte ab: „Aber die Leute von der Goethe-Zentrale fanden meine Idee der privaten Wiedergründung doch originell. Sie sagten das jedenfalls den Redakteuren von Spiegel, Osnabrücker Zeitung, Tagesspiegel, taz und dem Bayerischen Rundfunk.“ Warum plötzlich diese Aufregung, jetzt, wo gerade erste Erfolge in der Vermittlung deutscher und isländischer Kultur sichtbar würden?
„Der Name ist gesetzlich geschützt“, entgegnete der Direktor des Goethe-Zentrums und schien dann doch beruhigt zu sein, als ich ihm mitteilte, dass das Wort „Goethe-Institut Reykjavík“ im Programmheft in Anführungszeichen geschrieben worden sei, wie halt früher die „DDR“ in der Bild-Zeitung. Seitdem habe ich allerdings nichts mehr von Goethes staatlichem Erlzentrum in Reykjavík gehört.WOLFGANG MÜLLER
In Kürze hat Wolfgang Müllers privates Goethe-Institut Reykjavík eine eigene regelmäßige Seite im größten deutschsprachigen Islandinformationsdienst: www.geysir.de. Dort können Interessierte auch Vorschläge zum Projekt „Goethes isländische Reise“ übermitteln.
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