bettina gaus über Fernsehen: Frankfurter Schutzinstinkte
Wie ein Kollege vom Feuilleton sich das Zustandekommen eines gut geführten Interviews vorstellt
Jörg Thomann ist ein Mann, der Wünsche erfüllt. In der letzten Woche hat sich der Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als jemand offenbart, der Wirklichkeit werden lässt, wovon Sie bisher kaum zu träumen wagten. Er kennt Ihre Bedürfnisse besser als Sie selbst. Er sieht, was Sie nicht einmal ahnen. Vorausgesetzt, Sie werden von ihm interviewt. Das muss ein wunderbares Erlebnis sein.
Allerdings ist Thomann nicht unbescheiden genug, das von sich selbst zu behaupten. Seine hohen Ansprüche lässt er lediglich indirekt durchblicken – dann nämlich, wenn er über andere schreibt. Sie erinnern sich: Die norwegische Kronprinzessin Mette-Marit musste einen geplanten Deutschlandbesuch absagen, weil sie sich bei einem Interview von n-tv mit Sandra Maischberger infolge der offenbar durch Scheinwerfer verstärkten Sonneneinstrahlung schwere Verbrennungen im Gesicht zugezogen hatte.
Das zeuge „nicht gerade von hoher Aufmerksamkeit“ seitens der Interviewerin, befindet Thomann. Und er kommt zu dem Schluss, dass deren Ruf „ohne Zweifel“ nun gelitten habe. Ihr „Schutzinstinkt“ sei „so ausgeprägt“ nicht gewesen.
Tja, da hat sie es nun. Bisher hielt ich es für ein typisches Merkmal von Sonnenbrand, dass seine Anzeichen von den Opfern immer zu spät bemerkt werden. Aber hinter der FAZ verbirgt sich eben stets ein kluger Kopf. Der weiß mehr. Wonach dieser Kopf bei einem Interview wohl fragt? „Darf ich Ihnen ein Kissen holen?“ – „Brauchen Sie Wasser oder Whisky?“ – „Ist es gerade zu heiß? Zu kalt? Zu mittel?“ So möchte man umsorgt werden.
Von den viel gerühmten und preisgekrönten Interviews, die Sandra Maischberger auf n-tv führt, habe ich fast keines gesehen. Nicht aus Mangel an Interesse, sondern deshalb, weil sie auf einem Sender und zu einer Zeit stattfinden, die in meinem Fernsehraster nicht vorkommen. Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier. In ein paar Ausschnitte habe ich trotzdem irgendwann hineingezappt. Diese, vor allem aber das positive Urteil vertrauenswürdiger Leute haben mich bisher glauben lassen, dass Sandra Maischberger eine gute Journalistin ist.
In der letzten Woche ist dieser Glaube zur festen Gewissheit geworden. Sandra Maischberger ist ganz bestimmt gut! Wenn sich gegen jemanden nichts anderes einwenden lässt als der Mangel an prophetischen Gaben, dann muss er oder sie einfach Klasse sein.
Die FAZ weiß mehr, die Bild-Zeitung muss fragen. „Wer ist die ehrgeizige Reporterin Sandra Maischberger?“, steht als Überschrift über einem Artikel mit biografischen Angaben über die Journalistin. Eingeleitet wird er von ein paar Sätzen, die sie im Stern einmal über sich selbst gesagt hat: „Es stimmt leider, dass ich tödlich ehrgeizig bin. Ich möchte beweisen, dass ich gut bin, egal worin und egal wem.“ Vielleicht ist sie doch nicht so professionell. Schließlich kennt jedes Schlagersternchen und jeder Minister die Standardantwort auf die klassische Frage nach den eigenen schlechten Eigenschaften: „Ich bin leider oft viel zu ungeduldig.“ Üben, Sandra Maischberger! Niemals ernsthaft auf persönliche Fragen antworten! Alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden.
Mit ihrer Selbstkritik hat die Moderatorin ihren Gegnern eine Steilvorlage geliefert. Kaum etwas anderes eignet sich besser für Denunziation als das Eingeständnis einer Frau, sie sei ehrgeizig. Alles darf sie sein: blöd, intrigant, opportunistisch, langweilig – und notfalls sogar klug. Aber nicht ehrgeizig. Um Gottes willen nicht ehrgeizig! Die Bild-Zeitung hat im Archiv gewühlt und ein passendes Foto gefunden. Hart und abweisend sieht die Journalistin darauf aus. Zusammengekniffene Augen, kritisch vorgeschobener Mund. Unsympathisch eben. Das hat sie nun davon.
Wenn Frauen schon erfolgreich sein müssen, dann soll ihnen dieser Erfolg wenigstens in den Schoß gefallen sein. Sie dürfen ihn nicht auch noch angestrebt haben. Zumal sie ihn ohnehin immer einem Mann verdanken.
Jörg Thomann lässt uns im Blick auf Sandra Maischberger wissen, dass sich „die Branche seit geraumer Zeit fragt, wie groß eigentlich der einflüsternde Beitrag ihres Produktionschefs Friedrich Küppersbusch bei ihren so stringent wirkenden Auftritten in ihrer Show ist.“ Dieser Hinweis wirft nun allerdings Fragen auf. Welche Branche? Meine nicht. Welche Show? Vor allem aber: Warum glaubt Kollege Thomann, dass sich die lange, einsame Strecke eines gut geführten Interviews mit Hilfe einflüsternder Beiträge mühelos überstehen lässt? So hatte man sich die Arbeit bei der FAZ bisher gar nicht vorgestellt.
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