piwik no script img

bernhard pötter über KinderWie kommt Oma in den Himmel?

Die Beerdigung seiner Urgroßmutter hat der Sohn gut überstanden. Doch nach dem Kuchenbüfett kommen die Fragen

Natürlich kamen wir auch noch zu spät. Gehetzt und durchnässt polterten wir mit dem Kinderwagen und mit Jonas an der Hand in die Friedhofskapelle. Die Trauerfeier hatte schon begonnen. Schnell quetschten wir uns in die erste Reihe der Gemeinde, die sich zum Begräbnis von Uroma Gertrud eingefunden hatte. Als sich die Aufmerksamkeit wieder dem Pfarrer zuwandte und wir endlich langsam in den Kirchenbänken unsichtbar wurden, deutete Jonas auf den blumengeschmückten Sarg. In seinem lautesten Flüsterton, der Tote aufwecken kann, fragte er: „Ist das da die Kiste, in der Oma liegt?“

Ja, das war sie. Selbst schuld, ich hatte ihm das schließlich alles vorher erklärt, damit er sich bei der Beerdigung nicht gruselte. Jonas war durchaus interessiert und zeigte das lautstark, als wir hinter dem Sarg zum Grab zogen: Warum denn alle Leute so traurig seien? Ob denn die Oma in der Kiste nicht nass würde, wenn es regnete? Ob der Wagen mit dem Sarg nicht umfallen würde in der Kurve? Ob die Männer die Seile wieder rausziehen oder sie in der Grube lassen?

Ganz normale Fragen also, die wir im Nieselregen auf dem schlammigen Friedhof beantworteten. Mal mehr und mal weniger wahrheitsgetreu. Beim anschließenden Familientreffen interessierte ihn dann die Kuchenplatte wieder weit mehr als die Fragen nach den letzten Dingen. Das Experiment war geglückt, meinten wir. Wir hatten unser Kind nicht bei der Beerdigung zu Hause gelassen, wie es Freunde getan hatten. Schrammen an der Seele hatte er davon offenbar nicht bekommen. Das Ganze hatte ihn wohl gar nicht so berührt.

Dachten wir. Dann fragte Jonas auf der Rückfahrt so ganz nebenbei von hinten aus seinem Kindersitz, „Wie kommt Oma eigentlich aus dem Loch in der Erde in den Himmel?“, und brachte uns ins Schleudern. Ich versuchte es mit der Trennung von Seele und Körper und landete in der Sackgasse. Kurz murmelte der Agnostiker in mir: „Sag ihm einfach, dass mit dem Tod alles vorbei ist, dann haben alle ihre Ruhe.“ Aber da kennen die Agnostiker meinen Sohn nicht. Für ihn ist klar: „Die Omas und Opas treffen sich im Himmel und machen da eine große Party.“ Aber wie genau geht das?

Anna hatte eine bessere Idee: Oma schläft im Sarg ganz fest, wacht aber nicht mehr auf. Diese Erklärung wiederum alarmierte mich: Als Einschlaf- und Aufweckbeauftragter der Familie sah ich schon die Probleme auf mich zukommen: Abends würde dann das beste Argument gegen das Einschlafen nicht mehr heißen: „Ich hab schlechte Laune“, sondern „Ich hab Angst, nicht mehr aufzuwachen“. Und morgens, wenn ich ihm die Decke wegziehe, würde er sich auf seine Oma berufen, die ja auch nicht aufstehen muss.

So geht es also nicht. Wir können ihm nicht etwas erklären, was wir selbst nicht verstehen. Ich habe ja auch keine Ahnung, wie und ob das mit dem Himmel funktioniert. Daran glaubt nach einer Allensbach-Umfrage immerhin fast jeder zweite Deutsche. (Pikanterweise verlieren die Menschen ihren Glauben an ein Leben nach dem Tod, je näher sie dem Tod kommen.) Aber eine demokratische Willensbildung findet auf diesem Gebiet nicht statt. Ein Drittel der Menschen glaubt schließlich auch daran, dass Flüche wirken. Und zwei Drittel sind überzeugt, dass man mit einer Wünschelrute Wasser findet.

Was sage ich also meinem Kind, nachdem wir gemeinsam am offenen Grab gestanden haben? Dass es einen Himmel gibt, der besser ist als Schokoladeneis bei Franco, und eine Hölle, die man selbst Kollegen nicht wünscht? Dass spanische Wissenschaftler errechnet haben, die Hölle liege 14 Kilometer unter der Erde und sei exakt 455 Grad heiß, der Himmel 200 Kilometer über uns und entweder 232 Grad warm oder minus 197 Grad kalt? Und dass man demzufolge vielleicht doch mit einer Rakete mal einen Engel aufspießt?

Ich sage: „Jonas, das weiß ich auch nicht.“

„Tod ist doof“, meint der dazu. Er sitzt auf dem Bett und schaut sich ein Buch an, wo Jäger mit geschossenen Enten auf dem Rücken ins Dorf kommen. „Warum schießen die die Enten tot?“ Er hat das noch nie verstanden. Auch nicht, dass der Löwe die Antilope tötet, wie auf dem Bild im Museum. Tieftraurig schaut er auf das Buch. Nur um Momente später aufzuspringen, seine Wasserpistole zu greifen und grinsend auf mich zuzurennen: „Piff, piff, du bist tot!“

Fragen zu Kindern?kolumne@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen