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berlinmusikOn The Road

Es war eine lebensverändernde Entscheidung, die das Künstlerpaar Danielle de Picciotto und Alexander Hacke vor knapp zehn Jahren getroffen hat: Sie gaben ihren Wohnsitz in Berlin auf, hatten fortan nur noch ein gemeinsames Atelier an der Spree und führten ansonsten ein nomadisches Leben. Sie leben seither zeitweise bei Freunden in aller Welt, in Hotelzimmern oder wo man sonst gerade unterkommt.

Auch das neue Soloalbum der bildenden Künstlerin und Musikerin handelt von dieser Erfahrung. „Deliverance“ („Befreiung“, „Erlösung“) legt dabei bereits im Titel nahe, dass die Zwischenbilanz dieses Lebens positiv ausfällt. Zehn neue Stücke zwischen Folk, experimenteller Elektronik und Spoken Word sind auf dem digitalen Album zu hören, die LP enthält acht Tracks sowie ein 24-seitiges Booklet mit den Bildern, die sie in ihrer Zeit unterwegs malte.

Die 54-Jährige verbindet auf „Deliverance“ pluckernde, knisternde Elektronik mit traditionellen, choralen Gesängen („Et Arripuerit“), sphärische Klänge mit Vogelgesängen und Field Recordings („Dark Butterfly“), klassische Geigen mit vertrackten Geräuschen („My Secret Garden“) – es wird einem in diesen über 60 Minuten nicht ein einziges Mal langweilig, so viele Sounds und Ideen schichtet sie da übereinander.Herausragend sind die beiden gesungenen und musikalisch dezent unterlegten Long Poems „Deliverance“ und „Die Wüste in meiner Seele“. Ersteres erinnert mit seinem Bewusstseinsstrom an die Beat-Dichter*innen und ist passenderweise eine Auseinandersetzung mit dem Leben on the road sowie mit dem Beruf Künstlerin – „Where is the heart / if you don’t have a home?“, fragt die gebürtige US-Amerikanerin darin, oder sie konstatiert: „When he said art is a luxury / nobody needs / my heart broke in two“. „Die Wüste in meiner Seele“ – formal näher an der Avantgardelyrik des frühen 20. Jahrhunderts – lässt dagegen keinen Zweifel daran, dass dieses Album sich mit den grundlegenden Problemen unserer Zeit auseinandersetzt ­­(„Tote liegen quer kariert / auf den Stränden unserer Träume“). „Spring“ dagegen behandelt vom vernichtenden Konsumverhalten über die „Digital Fear“ bis hin zur Verödung und Verspießerung der Städte gleich mehrere Großbaustellen unserer Zeit. Jens Uthoff

Danielle de Picciotto: “Deliverance“ (Louder Than War) www.danielledepicciotto.com

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