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berliner szenenEin Gummiboot am Alex

Der Alex zeigt sich von seiner milderen, seiner herbstsonnigen Seite, als ich Richtung Nikolaiviertel gehe. Eine Frau spaziert schräg vor mir. Vergnügt schlenkert sie einen kleinen tragbaren Kassettenrekorder, der tapfer seine Arbeit tut. Ab und zu hält sie ihn höher und schmiegt eine Wange an das mattgoldene Wunderding. Wiegt sich leicht zur Musik, sodass ich ihr Gesicht sehe, das auffallend zuckt.

Sie – und damit auch wir Fußgänger – hören das „Knallrote Gummiboot“ in Partylautstärke. Ich wusste gar nicht mehr, dass man die Dinger damals so laut aufdrehen konnte. Wencke Myrhe aufm Alex. Is gut!

Sie nimmt dieselbe Route wie ich, und so kann ich die Reaktionen der Entgegenkommenden sehen. Verständnislosigkeit, durchweg, so mein Fazit. Kopfschütteln, Grimassieren, böse Blicke der Passanten, und das trotz der verhältnismäßigen Ruhe auf dem Platz.

Dann aber kommt einer, der an Krücken geht, Gips dazu. Typ Kiezkumpel, sportlich, mit abgeschabtem Käppi. Bleibt in kleiner Entfernung vor ihr stehen, klemmt seine Krücken zwischen die Beine und reckt die Arme in die Höh, tanzt mit dem Oberkörper, grinst breit, singt mit, nickt der Frau einladend zu. Diese packt im Nu riesige Freude – endlich wird sie von jemand verstanden – und beginnt jetzt auch ein Tänzchen, dazu ausgelassen glucksend.

Ihr habt ja ’n Knall, alle beide, schnarrt jetzt ein weiterer vorbeieilender Passant, tippt sich an die Stirn. Wat denn, wat denn, ruft der Kiezkumpel und legt beschützend einen Arm um die Partymaus. Dit is Kultua! Kulturjut! Mann!, schickt er dem Nörgler hinterher, meinungsstark wie ein Marktschreier. Versucht dann ein High Five mit der Seligen, doch die Geste misslingt. Sie verfehlt vor lauter Staunen oder Überglücklichsein seine offene Hand. Aber das ist ganz unerheblich.

Felix Primus

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