berliner szenen: Saubere Eichhörnchen
Ich sehe dem Mann schon eine ganze Weile dabei zu, wie er auf dem Mittelstreifen der Levetzow-Allee Kastanien sammelt. Er trägt eine gut sitzende Chino, ein Poloshirt von Ralph Lauren und Chelsea Boots aus Wildleder. Nicht der typische Kastaniensammlerlook. Er hat zwei große blaue Ikeataschen dabei, und die eine ist mittlerweile so voll, dass er sie kaum noch anheben kann. Was hat er mit diesen Massen von Kastanien vor? Beliefert er damit Kitas, die dann den ganzen Herbst über daraus Kastanienfiguren basteln? Oder möchte er mit ihnen Hirsche und Rehe durch den Winter füttern? Ich gebe mir schließlich einen Ruck und gehe zu ihm. „Hallo“, sage ich. „Hallo“, sagt er. „Warum sammeln Sie so viele Kastanien?“, frage ich. „Das ist wegen meiner Neurodermitis.“ „Wegen Ihrer Neurodermitis?“ Ich sehe ihn verständnislos an. „Ich mache aus den Kastanien Waschmittel. Kastanien sind ein dermatologisches Wunder. Und viel hautverträglicher als herkömmliche Waschmittel.“ „Ah“, sage ich. „Und da es Kastanien nicht das ganze Jahr über gibt, lege ich mir einen Vorrat an. Wie ein Eichhörnchen.“ Er lacht. Ich deute auf die Kastanien. „Wie stellt man daraus denn Waschmittel her?“ „Man zerkleinert das weiße Fruchtfleisch zu Bröseln. Die Brösel gibt man in ein Schraubglas, gießt es mit lauwarmen Wasser auf und lässt es mehrere Stunden durchziehen.“ „Das klingt simpel“, sage ich. „Ist es auch. Einziger Haken: Das Ganze ist nur drei Tage haltbar. Man kann die Kastanienbrösel aber an der Luft trocknen lassen. Getrocknet halten sie ewig.“ „Ich stelle mir gerade Ihre Wohnung vor“, sage ich. „All die trocknenden Kastanienbrösel.“ Er grinst. „Ich wirke bestimmt etwas wunderlich.“ – „Auf jeden Fall“, sage ich und grinse ebenfalls. Und dann beginne ich auch, Kastanien aufzusammeln. Hautprobleme haben wir zwar nicht in der Familie, aber eine Menge dreckige Wäsche. Daniel Klaus
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