berliner szenen: Klimakrise im Selbstversuch
Seit vielen Jahren habe ich außerhalb Berlins ein Gemüse-Pachtbeet. Das Konzept ist so einfach wie genial: Anfang Mai übernimmt man eine Parzelle, auf der schon vieles vorgesät und -gepflanzt ist. Nach den Eisheiligen Ende Mai pflanzt und sät man auch selber immer wieder einzelne Gemüsesorten nach, bis zum Spätsommer. Jungpflanzen und Saatgut sind im Pachtpreis inbegriffen, ebenso Bewässerung, Gartengeräte und regelmäßige Workshops. Sehr komfortabel also, auch für Neulinge machbar.
Doch es bleibt immer noch sehr viel „richtige“ Arbeit übrig. So muss man zum Beispiel gerade in den ersten Wochen die Parzelle wöchentlich durchhacken, um den Boden zu lockern und Beikraut eliminieren. Jetzt, wo die Pflanzen in Reihensaat größer werden, geht es auch bald wieder ans Vereinzeln: Möhren und Radieschen dürfen nicht zu eng stehen, denn sonst nehmen sie sich gegenseitig den Platz zum Wachsen. Also ziehe ich Pflänzchen für Pflänzchen vorsichtig aus der Erde, immer einen Fingerbreit Platz dazwischen lassend. Ich erzähle den Kolleginnen eher beiläufig davon beim Mittagessen.
„Wie?“, fragt eine ganz verblüfft, „man muss die einzeln aus der Erde ziehen? Die ganze Reihe lang? Das ist ja irre viel Arbeit.“ Als Kind vom Land ist mir das Vereinzeln ein dermaßen vertrauter Vorgang, dass ich noch nie über den Arbeitsaufwand nachgedacht habe. Aber ja: Gemüse wächst nicht von selber. Auch Wasser braucht es dazu, viel Wasser. Aber seit Wochen herrscht Dürre. Am Freitagnachmittag ging dann endlich ein Gewitterregen auf Berlin nieder. Um mich herum seufzen die Kollegen. Dabei ist Regen kein Wochenendkiller, sondern verdammt nötig. Vielleicht sollten Pachtbeete verpflichtend werden, damit wir alle verstehen, was um uns herum eigentlich gerade passiert.
Gaby Coldewey
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