berliner szenen: Flüstern die Wände zu mir herauf?
In eine neue Wohngemeinschaft zu ziehen ist mit nichts auf der Welt zu vergleichen. Nun logiere ich also in einem Zimmer in der vierten Etage in Friedrichshain, zu der sich ein einst hochherrschaftliches Schellacktreppengeländer windet. Tiefer, im Parterre nämlich, logiert zum Beispiel eine sherryfarbene Bordeauxdogge namens Lotti, zugleich Türsteherin des dort ansässigen Bordells. Nebenan eine Konditorei, deren Auslage Kuchen in galaktischen Formen, Farben und Geschmacksrichtungen bereithält.
Was noch? Bei uns natürlich, außer mir, elf buddies mit beträchtlichem Übernachtungsbesuch. Gegessen wird ungefähr dreimal. Nicht dreimal täglich, sondern dreimal pro Mahlzeit. Und so ist mein erstes Grünes Curry an diesem Abend für An, Mona, Crack und River Nachspeise zur Kürbisquiche, für Yara, Oskar und Lovis Vorspeise vorm Rotebeetekaperncarpaccio, für toddler Micha zuerst ungenießbar, dann asiatis und zum Schluss erklärtes Lieblingsessen. Und für Johann, Bienchen, Sterre und mich irgendwie schon der Beginn einer Freundschaft.
Gleich in der ersten Nacht hatte mich ein Geräusch lange am Einschlafen gehindert, ein tonloses, rhythmisches Wummern. Aus irgendeiner Etage, durch irgendeine Mauer an mein Ohr findend. Flüsternde Wände vom Erdgeschoss zu mir hinauf? Ich war zu schläfrig, um nachzuforschen.
Morgens, beim allerersten Frühstück, erschien Yara in feiner Klamotte, hauchte, sie habe gleich Prüfung, und inhalierte stehend eine Tasse Kaffee. Und mit einem: „Mist, meine Orgelschuhe!“ eilte sie aus der Küche. Sie hat, erfuhr ich beim zweiten Frühstück von Crack, eine elektronische Orgel in ihrem Zimmer, an meines grenzend. Und nachts geübt fürs Examen. „Mit Vollpedal“, präzisierte Sterre beim dritten ontbijt. Felix Primus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen