berliner szenen: Gefangen in der U-Bahn-Tür
Es ist grau, es regnet, und ich habe Halsschmerzen, also sage ich meinen Abendtermin ab und komme somit heute wohl gar nicht raus. Manchmal ist mein Arbeiten ganz schön einsam. Ich schreibe, trinke Tee und höre Radio 1. Dort passieren ungewöhnliche Dinge. Mal poppt ein Jingle auf, mal herrscht Stille. Moderatorin C. K. nimmt es cool und überbrückt Zeit, indem sie erzählt, wie sie neulich in der Tür der U7 eingeklemmt wurde.
Ich horche auf. Sie hatte so gute neue Kopfhörer auf, dass sie das Tuten der U-Bahn-Tür beim Schließen nicht hörte und sich in der Tür verklemmte. Als ihr endlich jemand half, rief sie sehr laut gegen die Kopfhörer an: „Vielen Dank!“ Der ganze Waggon blickte sie befremdet an.
„Das war gar nicht mal so angenehm“, sagt sie trocken. Ich lache laut auf. Es ist, als hätte ich die Szene selbst erlebt. Ich beschließe, C.K. zu schreiben: Sie hat mir gerade den Tag gerettet, ob ich die Szene aufschreiben darf. Na klar, sagt sie per Sprachnachricht, und dass es eine in drei Akten ist. Auf der Rückfahrt ist nämlich noch jemand in der U-Bahn-Tür stecken geblieben. Eine gestylte Frau neben der Tür sah nur zu, und als er sich endlich befreite, stieß er sie aus Versehen an, worauf sie sich ihren Milkshake komplett über den Mantel kippte und ihn so ansah wie: Echt jetzt?
Ich muss sofort an Karma denken. „Er entschuldigte sich tausendmal, holte ein paar dreckige Taschentücher zum Putzen hervor, aber sie würdigte ihn keines Blickes. Eine Station später stieg ein Rentnerpaar ein und starrte die vollgekleckerte Frau so an, als sei sie das Allerletzte. Ich saß in der ersten Reihe und hab mitgefühlt“, sagt C.
Und ich weiß mal wieder, warum das Radio das Fenster zur Welt ist: Ich konnte heute eine Berliner Szene erleben, ohne auch nur das Haus verlassen zu haben.
Isobel Markus
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