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berliner szenenEin Geschmack von früher

Heute früh sitze ich in der S-Bahn auf dem Weg zu einem „Kennenlerngespräch“, wie Bewerbungsgespräche von Selbstständigen manchmal genannt werden. Ich bin ziemlich müde, mein Magen knurrt.

In meiner Tasche finde ich zwei Hustenbonbons und eine halbe Tüte Schokolinsen. Gut, denke ich, hole die Tüte hervor und stecke mir unter der Maske zwei Schokolinsen in den Mund. Beim Kauen knirscht es so schön zwischen den Zähnen. Ich kaue und knirsche, da sagt jemand neben mir: „Ach.“

Ich gucke nach rechts. Eine Frau mit einem Turban in einem leopardgemustertem Mantel sieht mich an: „Entschuldigen Sie, also diese Minzlinsen, die gab es schon in meiner Kindheit.“ Ich kaue, knirsche und schaue freundlich über der Maske.

Sie sagt: „Mein Großvater hatte eine Dose, randvoll mit Minzlinsen, und wir Kinder durften uns immer drei nehmen. Ich hatte die in Rosa lieber. Die Weißen sind schärfer, nicht?“ – „Ach ja?“, murmele ich. Sie schielt auf meine Tüte, dann kramt sie in ihrer Tasche und fragt: „Darf ich Ihnen vielleicht drei Stück abkaufen?“

Ich halte ihr die Tüte hin und schütte ein paar Linsen in ihre geöffnete Hand. „Ach, das ist nett“, sagt sie. „Vielen Dank.“

„Bitte“, sage ich und stecke mir noch zwei weitere Linsen in den Mund. Ein Mann gegenüber guckt uns zu, und ich meine, er lächelt. „Möchten Sie auch?“, frage ich also, und er sagt: „Nee, danke. Ich mochte die nie. Bei meinem Kinderarzt waren die in einem Glas zusammen mit Gummibärchen, sodass immer alle Gummibärchen nach Minze geschmeckt haben. Minze erinnert mich seitdem an Ärzte.“ Die Turbanfrau und ich kauen und knirschen. Der Mann guckt aus dem Fenster und hört vielleicht zu. Und weil es so schön knirscht, hätte ich fast noch meine Station verpasst. isobel markus

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