piwik no script img

berliner szenenDie Sache mit Theorie und Praxis

Im Bus riecht es nach feuchten Jacken. Es regnet in Strömen und draußen vor den Fenstern ist der Tag grau. Eigentlich mag ich dieses Schietwetter. Da muss ich kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich nicht nach draußen gehe. An diesen Tagen bleiben möglichst alle zu Hause.

Zwei Frauen schräg in der Sitzreihe hinter mir im Bus unterhalten sich über eine Bürofeier der einen: „Und dann legt mir der Neue unter dem Tisch doch einfach die Hand auf das Knie. Ist das zu fassen? Bei der Bürofeier! Ich kannte den nicht und der Typ ist verheiratet!“

„Ih, wie eklig“, sagt die andere, „auch so peinlich altmodisch Macho. Und was hast du gemacht?“

„Ich war erst mal wie versteinert, bin aufgestanden, auf die Toilette gegangen, habe mich auf die andere Seite des Tisches gesetzt und ihn böse angeguckt.“

„Tja“, seufzt die andere, „so machen wir das eben dauernd. Immer schön ignorieren, weggucken oder weglächeln. Nur kein Aufsehen erregen. Eine Scheiße ist das.“

„Aber weißt du, was ich wirklich gern gemacht hätte? Ich hatte später tausend Ideen dazu im Kopf“, sagt die andere. Ich lausche gespannt.

„Klaps auf den Hinterkopf, aber nur so einen kleinen, sodass er einmal Nicken muss und ihn dann fragen, ob was ausgesetzt hat. Oder laut rufen, ob er es gleich hier oder erst später mit mir und seiner Frau tun will. Ich hatte noch total üble Rachegedanken.“ Ich grinse und die Freundin kichert.

Eine alte Dame vor mir dreht sich um und ruft über mich hinweg: „Man muss denen direkt in die Suppe spucken, sonst verstehen sie es nicht. Hinterher wird behauptet, es wäre alles ganz anders gewesen. Daher immer sofort.“ Wir nicken alle drei.

„Die Sache ist nur die mit Theorie und Praxis“, bemerkt da die Freundin. Und daraufhin nicken wir auch alle wieder. isobel markus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen