berliner szenen: Songs im Ohr statt Kopfhörern
Mein Handy ist unrettbar kaputt, und mein Sohn kauft mir ein neues. Ich bin froh, dass er das für mich übernimmt. Zu Hause hilft er mir bei der Datenübertragung und fragt mich Sachen wie: „Touchidentifikation zur Anmeldung?“ – Ich schüttele den Kopf. – „Das ist aber praktisch, Mama.“ – „Auf keinen Fall“, sage ich, „das mit dem Daumenabdruck ist gruselig. Früher mussten nur Verbrecher ihre Fingerabdrücke abgeben“, erkläre ich. Er schnauft, als sei mir nicht zu helfen.
Am nächsten Tag ziehen ich und mein neues Handy in die Welt hinaus. In der S-Bahn sitzt mir einer gegenüber, der etwa fünf Jahre älter ist als mein Sohn. Ich hole ein bisschen stolz mein neues Handy aus meiner Pac-Man-Socke, hole meine Kopfhörer heraus und bemerke, dass mich der Typ mit gerunzelter Stirn beobachtet. Aber ich entwirre konzentriert das Kabel, verstöpsele mir die Ohren und will den Kopfhörer mit dem Handy verbinden. Ich gucke unten am Rand, ich gucke an der Seite, oben und an der anderen Seite. Der Typ guckt jetzt noch seltsamer. Er denkt ganz offensichtlich, dass ich saublöd bin. Genauso fühle ich mich auch, tue aber, als hätte ich eigentlich etwas ganz anderes gesucht. Der Typ guckt jetzt neutral und an mir vorbei, als sei ich eben durchgeknallt.
Ich schreibe meinem Sohn: „Das neue Handy hat irgendwie keinen Kopfhörereingang!?“ – Tränen lachender Smiley, dann die Nachricht: „Mann Mama, so was haben Handys nicht mehr. Brauchst jetzt Bluetoothkopfhörer.“
Der Typ gegenüber weicht meinem Blick aus, aber er hat solche Kopfhörer in den Ohren. Alle haben solche, wie mir auf meinem musiklosen Weg durch die Stadt auffällt. Ich dagegen habe die ganze Zeit irgendwelche Songs im Ohr. Einer ist von Die Höchste Eisenbahn: „Jemand ruft an, jemand legt auf, ich denk mir Weisheiten aus.“
Isobel Markus
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