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berliner szenenWohl zum Himmel gefahren?

Auf dem Weihnachtsmarkt in Zehlendorf ist es voll. Die Menschen drängen sich um die Buden, es gibt wie immer Würstchen und Glühwein und alle versuchen, unter den Dächern Schutz vor dem Regen zu finden. Der­ya und ich bestellen Pommes, lehnen uns zum Essen an einen Pfeiler und schauen in den Regen. Das Kopfsteinpflaster spiegelt die Farben der Weihnachtsbeleuchtung wie aus einem impressionistischen Bild wider.

„Ein Bild für die Götter“, sagt Derya und deutet verstohlen auf zwei Männer nicht weit von uns. Sie sitzen auf einer Bank. Der eine trägt eine Bommelmütze, der andere trägt Glatze, hat Ohrenwärmer auf und hält irgendwie widerwillig einen Schirm über sich und den anderen. Beide haben einen Glühweinbecher in der Hand, kennen sich aber offenbar eigentlich nicht. Ja, sagt der mit den Ohrenwärmern auf den Wortschwall des anderen: Ich muss bald gehen, wissen Sie. Meine Frau wartet zu Hause mit dem Baum. Dann nehme ich leider auch den Schirm mit.

Sagen Sie nich so was, einer geht noch, sagt die Bommelmütze. Leider nein, bedauert der andere halbherzig. Die Bommelmütze lacht sich kaputt. Sie machen mir Spaß, sagt er dann. Ich lad Sie ein. Er steht auf und verschwindet schwankend in der Menge. Jetzt sieht der mit den Ohrenwärmern auf die Uhr, steht auf und geht einfach davon. Derya und ich gucken ihm hinterher. Etwas später steht die Bommelmütze mit zwei Bechern vor der verlassenen Bank. Er sieht sich ratlos um, setzt sich schließlich und brummelt: Is ja’n Ding.

Er nimmt einen großen Schluck, sieht zu uns herüber und ruft: Wohl zum Himmel gefahren, wa? Wir lächeln ihn bedauernd an und sehen ihm zu, wie er im Regen zwei Becher Glühwein trinkt. Und Derya murmelt: Weihnachtsmärkte sind’ne echte Hassliebe von mir. Isobel Markus

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