berliner szenen: Wer glücklich ist, hats besser
Es ist Sonntagabend, ich sitze in der U-Bahn nahe der Tür. Neben mir hinter der Scheibe steht ein Paar, die sich über eine Inszenierung unterhalten. Eine Frau mit langen Haaren in einem weinroten Mantel betritt den Waggon. Ich verstehe erst gar nicht, was ich an ihr seltsam finde, bis ich bemerke, dass sie keine Maske trägt.
Das Paar ist verstummt. Beide sehen wie ich die Frau an. Ich versuche Missbilligung in meinen Blick zu legen. Die Frau setzt sich mir gegenüber, bemerkt unsere Blicke, tut aber gänzlich unbeteiligt. „Entschuldigung, aber setzen Sie bitte eine Maske auf“, sagt der Paarmann ungehalten.
„Ich habe keine dabei“, antwortet die Frau. Man merkt, er holt Luft, als seine Frau ihn an den Arm fasst und aus ihrer Tasche mit der anderen Hand eine Maske zutage fördert. „Hier“, sagt sie zu der Frau, „sie ist ganz neu und unbenutzt.“
Die Frau sieht ausdruckslos auf die ihr hingehaltene Maske und sagt: „Nein danke, die brauche ich nicht. Ich bin ja ein glücklicher Mensch.“ Jetzt sieht sie das Paar direkt an.
Der Mann reißt die Augen auf, die Frau murmelt: „Es gibt Leute, denen ist nicht mehr zu helfen.“
„Woll’n Sie damit sagen, dass Sie deshalb kein Corona kriegen, oder wat?“, fragt der Mann.
„Genau, wer glücklich ist, den trifft es nicht“, nickt die Frau.
Der Zug fährt in den nächsten Bahnhof ein. Der Mann wird rot, unter seiner Maske ringt er nach Luft. Ich befürchte eine Explosion, aber dann beginnt er zu lachen. Er lacht so laut, dass mehr Leute aufmerksam werden. Er steht vor der Frau, zeigt mit dem Finger auf sie und lacht unter Tränen: „Glücklich isse.“
Ein paar Leute lachen mit und brummeln etwas. Die glückliche Frau steht auf und verlässt die Bahn. Das Lachen hallt ihr auf dem Bahnsteig nach. Isobel Markus
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