berliner szenen: Ach, das sind wohl Schwestern
Auf dem S-Bahnhof stehen zwei Mädchen und streiten. Die eine hat hellbraune lange Haare und ihre Maske an einem Ohr hängen. Sie hat die Arme verschränkt, ihren Mund zusammengepresst und guckt in die Ferne über die Gleise. Die andere ist etwas größer, blond mit kurzen Haaren, trägt eine Tasche und guckt böse von der Seite. „Das finde ich echt daneben“, zischt sie jetzt. Die mit der hängenden Maske atmet ein und wieder aus und bewegt kurz die Augen nach oben. „Du weißt, dass du mich fragen sollst, wenn du was aus meinem Schrank nimmst“, sagt die Blonde.
Ach, denke ich, das sind Schwestern. Die mit den langen Haaren schaut sie kurz an: „Ja doch. Du mich auch.“ „Hallo??“, brüllt die Ältere. „Ich will deine Kacksachen ja gar nicht.“ „Ach, und das fliederfarbene T-Shirt, das du immer trägst?“ Ihre Stimme klingt nach Nänänänänä. „Äh? Das ist meins!“, ruft die ältere Schwester.
„Ja, genau“, sagt die andere schnippisch und guckt wieder in die Ferne. „Okay, mir reicht’s“, ruft die Blonde. „Zieh die Hose aus!“ Oh, denke ich. Jetzt geht’s ja los. Es ist wie im Krimi. Die mit den langen Haaren guckt sie an: „Spinnst du jetzt?“ „Du ziehst jetzt die Hose aus. Ist mir scheißegal.“ Sie beginnt, an der weiten Hose der anderen zu ziehen, die dagegen hält sie sich hoch, ein Gerangel entsteht. Sie treten und schubsen sich.
Eine Frau guckt besorgt. Als unsere Blicke sich treffen, sagt sie: „Das sind Schwestern, ja?“ Ich nicke. Die S-Bahn fährt ein, die beiden halten sich inzwischen gegenseitig an den Haaren. Die Tasche der Blonden liegt auf der Erde. Aus dem abfahrenden Zug sehe ich, wie sie sich auf dem Bahnsteig weiter ineinander verhaken. Inzwischen ist kaum zu unterscheiden, welches Körperteil zu wem gehört. Wie im Tanz fliegen Haare und Arme. Und die schwarze Hose flattert dazu. Isobel Markus
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