berliner szenen: Zum Impfen in den Friseursalon
Samstagnachmittag. Schnell noch die Haare schneiden lassen, bevor alles wegen Bundesnotbremse wieder schließt. Oder machen die Friseure diesmal gar nicht zu?
Keine Ahnung. Aber ein Blick durch das Fenster beim Barbier am Hermannplatz ergibt, dass niemand wartet. Ich trete ein und sehe mich mit folgendem Tableau konfrontiert: In der Mitte des Salons steht ein kleines wackliges Tischchen, darauf einige Fläschchen und in Plastik verpackte Spritzen. Daneben ein ungepflegter Typ um die 60, der aussieht wie eine Ein-Mann-Hygiene-Demo. Dieser fummelt gerade eine Spritze aus der Plastikverpackung und zieht eine Dosis auf.
Erst will ich den Laden sofort rückwärts wieder verlassen. Aber wo finde ich dann einen Friseur, wo ich sofort bedient werde? Außerdem will ich mir diese Szene dann doch genauer ansehen.
Während mir die Seiten mit der Maschine gekürzt werden, wird einem Friseur nach dem anderen eine Spritze in die fleischigen Oberarme gejagt. Der Figaro, der an meinem Kopf herumwerkelt, teilt mir mit strahlendem Lächeln mit, worum es geht: „Gegen Covid“, sagt er, während hinter mir Impfpässe ausgefüllt werden.
Beim Zahlen erfahre ich, dass der sonderbare Spritzer im Impfzentrum arbeitet und Stammkunde im Salon ist: „Wollte uns Freude machen.“ Für die wartende Kundschaft, die zum Teil schon Geldscheine in der Hand hat, ist aber leider nichts mehr übrig. „Nicht vergessen: keine Öffentlichkeit“, sagt der Medikus noch, bevor er den Laden verlässt – im Schlepptau einige besonders Impfwillige.
Was für ein Impfstoff ihm verpasst wurde, weiß der Friseur nicht. Ist letztlich aber auch egal. Denn nach dem ungekühlten Transport in der verblichenen Stofftasche des Wanderheilers dürfte der Wirkstoff wohl eh hinüber sein. Tilman Baumgärtel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen