berliner szenen: Jetzt jeht’s aber los mit der Demenz
Im Supermarkt sitzt meine Lieblingskassiererin an der Kasse. Eine Frau mit roten kurzen Haaren, immer andersfarbig glitzernden Fingernägeln und einem verschmitzten Gesichtsausdruck. Sie zieht meine Einkäufe über den Scanner und fragt: „Haben Sie eine – na, wie heißt dit gleich? Na eine ...“ Sie guckt genervt. „Jibt’s doch nich, da hab ick jetzt doch schon Wortfindungsstörungen.“ Sie stöhnt. „So eine Payback-Karte?“, versuche ich zu helfen. „Jenau“, sagt sie erleichtert. „Mensch, danke schön.“
Ich schüttele den Kopf. „Habe ich aber nicht.“ Sie schüttelt auch den Kopf, murmelt dabei: „Jibt’s echte ma nich. Manchmal denk ick, jetzt jeht’s aber los mit der Demenz.“
„Ach was“, sage ich, „mir fallen auch oft nicht die richtigen Wörter ein.“
„Ja, also meinen Se, is allet noch im normalen Rahmen, ja?“ Ich nicke bestimmt.
„Aber Weglauftendenzen hab ick och“, sagt sie dann. „Vor allem wenn ich mir dis Chaos hier zurzeit so ankiecke.“ Sie macht eine Handbewegung in den Laden hinein. Ich lache. „Wenn es danach geht – ich habe andauernd Weglauftendenzen.“
„Na jut.“ Sie atmet hörbar auf. „Und ’ne Uhr könn wa beide och noch malen, wa? Dann is wohl wirklisch noch allet in Ordnung.“
Wir lachen beide, ein älterer Herr in der Reihe hinter mir kichert mit. „Ja, ja“, seufzt er dann, „wenn es wirklich losgeht, stellt man sich diese Fragen gar nicht mehr. Da hat man die Anzeichen dafür nämlich alle vergessen.“ Wir lachen alle drei.
„Dit is jut“, findet die Kassiererin. „Also können wa uns mal alle schön entspannen.“ Finden wir alle gut. „Dann schüß und schön jesund bleiben“, sagt die Kassiererin noch zu mir. „Ebenso und einen schönen Abend“, wünsche ich.
Draußen grinse ich immer noch. Irgendwie mag ich Supermarktbesuche grad sehr. Isobel Markus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen