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berliner szenenWeißt du nicht, wohin?

Um 21 Uhr warte ich vor dem Haus einer alten Freundin, um ihr Kinderkleidung zu bringen. Wir haben abgemacht, dass sie mich anklingelt, sobald ihre Tochter schläft. Zwei Teenagerinnen diskutieren auf dem Weg vorbei an mir in das Hausinnere über das Angebot ihrer Kosmetikerin: „Viermal Mumufrei für den Preis von drei.“ Die Details, warum sich die Reduzierung fürs Wachsen lohnen könnte, hätte ich lieber nicht gehört. Nur so viel: Sie haben es diese Woche selber versucht. Und jetzt stehen die Chancen auf Sex sehr schlecht.

Meine Freundin schickt derweil Wein-Emojis aus ihrem Schlafzimmer und schreibt, es könne noch dauern. Ich gehe spazieren und setze mich schließlich vor eine Kirche. Ein Mann mit einem zusammengerollten Teppich unterm Arm grüßt im Vorbeilaufen, deutet auf den Teppich und fragt: „Willst du den haben?“ Ich schüttle wortlos den Kopf. Er bleibt stehen und mustert mich: „Weißt du nicht, wohin?“ Ich sage: „Doch“, und sehe betont an ihm vorbei die Straße hinunter. Er runzelt die Stirn und meint: „Falls du es dir noch einmal überlegst: Ich wohne in der Nummer 10. Einfach klingeln bei …“

Als er weg ist, fällt mein Blick auf die Tüte voller Kinderkleidung neben mir: „Hat er mich etwa für obdachlos gehalten?“ Kurz sehe ich mich von außen: eine Frau in langem Trenchcoat mit einer großen Tüte voller Kleidung auf den Stufen einer Kirche. Ich erinnere mich, wie ein Kommilitone einmal meinte, Autoren und Obdachlose seien äußerlich oft kaum zu unterscheiden. Dann fällt mir ein, dass der Mann mir eben noch seinen Teppich andrehen wollte. Warum sollte eine Obdachlose einen Teppich kaufen? Oder wollte er ihn mir schenken? Als Decke?

Meine Freundin ruft an und meint, es werde wohl nichts, ich solle einfach kurz hochkommen.

Eva-Lena Lörzer

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