berliner szenen: Krault tausend Meter
Im Paracelsus-Bad in Reinickendorf kann man das Schwimmen mit einem Friseurbesuch kombinieren. Kommt man mit nassen Haaren und Eintrittskarte zum Haareschneiden, wird’s billiger. Und Zeit spart es auch. Für meinen freien Freitagvormittag bekomme ich einen Friseurtermin um halb elf, muss also schon um neun Uhr früh ins Wasser. Morgens in Reinickendorf trifft man beim Schwimmen auf ein ganz anderes Publikum als abends im Stadtbad Mitte. Dort sind es eher hippe junge Menschen. Hier schwimmen RentnerInnen, Frauen im Burkini und jede Menge Kinder, denn es sind Osterferien.
Im Wasser fällt mir eine ältere Dame mit einer knallig-violetten Sport-Badekappe auf. Dazu trägt sie, das bemerke ich, als wir zusammen am Beckenrand pausieren, eine coole Schwimmbrille. Sie unterhält sich mit einer anderen alten Dame, ich schnappe nur einen Gesprächsfetzen auf: „Und jetzt muss ich noch ein bisschen was tun.“ Sie stößt sich mit den Füßen vom Beckenrand ab und krault schnell die abgetrennte Sportschwimmerbahn entlang. Ich bin beeindruckt. Seit ich im letzten Jahr einen Kurs in Kraulschwimmen gemacht habe, übe ich das auch, bin aber weit von Tempo und technischer Präzision meiner Mitschwimmerin entfernt. Das muss anders werden – also kraule ich auch los, schaffe aber leider immer noch nicht mehr als 50 Meter.
Später unter der Dusche treffe ich die beiden alten Damen wieder. „Und, wie oft gehen Sie schwimmen?“, fragt die eine die mit der violetten Badekappe. „Ach, eigentlich jeden Tag. Außer montags, da ist das Bad ja leider zu.“ Ich erfahre, dass sie 85 ist und immer tausend Meter krault. „Man muss sich doch bewegen, sonst hat man nichts mehr vom Leben in diesem Alter“, sagt sie. Ich bin starr vor Ehrfurcht. Ich muss mein Training intensivieren in diesem Sommer. Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen