berliner szenen: Der alte Trick mit der Lederjacke
An einem Montagmittag ruft mein Vater an und schnaubt aufgebracht: „Du glaubst nicht, was mir eben passiert ist!“ Er erzählt: „Ich war gerade auf dem Weg zum Mittagessen, als vor unserem Haus ein rotes Auto hielt. Ich konnte den Fahrer schlecht sehen, bin aber stehen geblieben, da er nach mir rief. Von Nahem sah ich, dass ich den Mann gar nicht kenne. Der aber winkte mich zu sich und fragte mit italienischem Akzent, ob ich mich nicht erinnere, an damals, vor 15 Jahren.“
Vor 15 Jahren hat mein Vater als Dozent für Deutsch als Fremdsprache gearbeitet. Daher dachte er, ein ehemaliger Teilnehmer habe ihn erkannt, worüber er sich freute. Der Mann, so schildert er weiter, fragte, wie es ihm gehe, und erzählte, dass er eine Textilfirma in Verona führe. Seine Frau aber sei zuckerkrank. Erst vor Kurzem seien ihr beide Beine amputiert worden. Jetzt komme er gerade von einer Textilmesse und habe in seinem Auto eine Tasche mit Kleidung, die er meinem Vater schenken wolle, da er sich so über das Wiedersehen freue. „Na ja“, meint mein Vater, „von einem Textilfabrikanten, dachte ich, kann ich das annehmen.“
Der Mann holte eine hellblaue Sporttasche aus dem Kofferraum und sagte, dass er die Tasche aber behalten möchte. Mein sonst eher ängstlicher Vater erklärte sich einverstanden, dass der Mann die Kleidung in seine Wohnung hochbringt und die Tasche wieder mitnimmt. In seinem Flur, sagt mein Vater, packte der Mann drei Lederjacken aus und behauptete, die Jacken hätten einen Wert von mehreren tausend Euro. Dann bat er meinen Vater um Geld, damit er seiner Frau einen Rollstuhl kaufen könne. Erst da wurde mein Vater stutzig und bat ihn, seine „Geschenke“ wieder mitzunehmen. „Der hat in Windeseile alles wieder eingepackt und ist verärgert wortlos rausgestürmt.“
Eva-Lena Lörzer
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