berliner szenen: Die Angst vor dem Kassenband
Ich bin allein auf dem Weg zu Aldi. Meine Mitbewohnerin wollte nicht mitkommen. Ich mag es lieber, wenn wir zu zweit einkaufen. Nicht, weil wir danach gemeinsam kochen, sondern weil ihre Anwesenheit an der Kasse fast unabdingbar ist. In unserem Aldi arbeiten nämlich, da bin ich mir sicher, die schnellsten Kassiererinnen Europas.
Ich gehe nicht gerne einkaufen. Wenn ich es tun muss, dann fülle ich meist zwei bis drei volle Stoffbeutel. Ich sollte es besser wissen: Denn selbst mit zwei helfenden Händen halten wir den Laden auf. Die Kassiererin braucht circa 30 Sekunden, um circa 28 Artikel über die piepende Kasse zu ziehen. Dann fühlt es sich so an, als wäre ich ein kleines Steinchen zwischen stetig laufenden Zahnrädern. Mittlerweile fürchte ich mich deshalb vor dem Kassenband und dem Warten.
Ich habe andere Kunden beobachtet, um mir eventuelle Tricks abzuschauen. Ich habe angefangen, Eier, Milch und Weinflaschen nach zeitsparendem Kalkül anzuordnen, um ein schnellstmögliches Ergebnis zu erzielen. Ich habe das Geld zuvor griffbereit in meine Jackentasche gesteckt, die Stoffbeutel wohl bedacht in meinen Armen und Händen angeordnet, um einen flüssigen Wechsel zu garantieren.
Trotz allem läuft es jedes Mal auf eine Entschuldigung meinerseits bei der Kassiererin hinaus, während ich versuche meine restlichen Gegenstände aus dem Weg der bereits heranrauschenden Artikel des Nächsten zu räumen. In letzter Zeit habe ich eine ältere Kassiererin mit blond hochgesteckten Haaren ins Herz geschlossen. Ich glaube, sie kennt mich mittlerweile, denn sie schaltet immer einen Gang runter, wenn ich mit Einkauf und angespannter Miene vor ihr stehe. Ich muss mich trotzdem entschuldigen, sie lächelt wissend. Mit vollen Beuteln gehe ich nach Hause und bin ihr dankbar. Der Aldi ist jetzt heimeliger. Marlene Militz
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