berliner szenen: Intellektuelle auf Konzerten
STOCK IM WIND
So ist das mit den Neuen Berliner Intellektuellen (NBIs): Sie sind zupackend, energisch und verstehen es, sich durchzusetzen. Ihre Gedanken haben den nötigen Biss, ihr Geist ist klar und vom Ballast der Geschichte restlos befreit, sie sind außerordentlich geschickt, enorm initiativ und vollends vom Neuen besessen. Sie gründen gleich mehrere Firmen auf einmal, entwickeln Unzahlen von Dienstleistungsfeldern und erschließen Tag um Tag elektronisches Wissen. Sie sind gewissermaßen Schröder im Quadrat.
Doch geht man dann einmal auf ein Konzert, das ihnen laut Spex, The Face oder De:Bug gefallen muss, so findet man die Intellektuellen nicht dort, wo man sie naiverweise vermuten könnte. Die Eule der Minerva bleibt nach der Dämmerung einfach hocken. Diese Menschen agieren sich nicht aus und erstürmen auch die Tanzfläche nicht. Wenn sie sich doch einmal gezwungen sehen, das Tanzbein zu schwingen, so bewegen sie sich wie ein Stock im Wind. Das Glas wird nur selten beiseite gestellt, und mancherorts ist es auch wieder chic, beim Tanzen zu rauchen. Am liebsten aber stehen sie abseits, in der Beobachterposition, das linke Bein leicht angewinkelt, den Arm in der immer gleichen, zivilisiert wirkenden Biegung nahe am Körper gehalten, während er in ein Bier oder einen Cocktail ausläuft. Und mit den Ihren pflegen sie ganz smart eine Konversation.
Sie tun überall so, als ob sie nicht dazugehören. Später aber schwärmen sie von der performativen Eleganz des Künstlers. Ein Konzert mit intellektueller Musik erkennt man daran, dass alle an der Bar stehen und niemand vor der Bühne. Sie ölen ihr analytisches Instrumentarium, reden von Rock, Sex und Ekstase und hoffen dabei auf das Volk oder sonst jemanden, der ihr Gerede umsetzt. js
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