berliner szenen: Kameras auf Naumann
Kulturstunde
Sophiensaele, Ballsaal. Ein schöner Raum. Mit altem Galeriegang und offen daliegenden Putzwänden. Schön das und schön genug, um darin den Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, und ihm gegenüber Roger Willemsen abzulichten. Eine Gesprächssendung für den WDR wird aufgezeichnet. Das Publikum ist zahlreich, die knarrende Tribüne ist bis auf den letzten Platz besetzt, und die Gruppe, die sich sehr krude aus Berliner Kulturgesichtern, ambitionierten Studenten und verlaufenen Arbeitslosen zusammensetzt, hat sich schüchtern mit Kaffee versorgt. Es ist 14 Uhr. Wider Erwarten gibt es keine Kontrollen am Eingang.
Jetzt sitzt das Publikum da und betrachtet staunend die Arbeit der Kamerafrauen und ihrer Cableguys. In die doch sehr weitläufige Bühnenlandschaft ist ein Tisch gestellt worden, darauf die zwei obligatorischen Wassergläser, dazu unbequeme Stühle – das gibt zusätzlich Atmo. Überhaupt muss man feststellen, dass die Dekoration bei ernsthaften deutschen Gesprächssendungen langsam wieder bei der Ästhetik der Jahrhundertwende ankommt; entweder knistert ein Kaminfeuer, oder – wie in diesem Fall – man macht auf Kaffeehausspartanik. Drum herum wirbeln aber sehr hightechnisch Fotografen und drei schwere Fensehkameras (plus Handkamera). Denn die Stars sind da, Willemsen in Salopp, Naumann zunächst in Überfordert. Während der Kultusstar etwas verloren neben dem Starintelligenzler steht, übt dieser das Publikum in seine Rolle ein und bittet schließlich um ernsthafte Kulturvisagen („Schauen Sie kritisch“). Bitte. Dann müssen alle noch mal applaudieren, denn jetzt fängt die Sendung an. Dabei bleiben Naumann und Willemsen stehen; so werden aufmerksame Zuschauer vorm Fernseher glauben müssen, man hätte die beiden überraschend vor irgendwoher hereingebeamt.
Dann setzen sich die beiden, plaudern, Naumann raucht, geriert sich als Ex-68er, als exerfolgreicher Ex-Rowohlt-Chef (obwohl da die Zahlen anderes sprechen), er weiß, dass der Kosovo-Einsatz gut war (und duldet mit einem scharfen Nein keine Zwischenfragen), redet von den vermeintlichen Notwendigkeiten und Schwierigkeiten seiner trotzdem immens guten Kulturpolitik und geht auf einen Zwischenruf nicht ein. Zwischenruf: Die Regie ist irritiert. Kurz kommt Unruhe hinter den Kameras auf; gehorcht das Publikum nicht mehr? Doch, gott sei Dank, das Publikum bleibt brav. So geht das Gespräch vorüber. Ein Assistent zeigt Willemsen die Minuten in der gleichen Weise, wie man dem Formel-1-Fahrer die Zwischenzeiten anzeigt, per Karte. Dann ist es vorbei. Schlussapplaus. Willemsen dankt dem Publikum, dass es eine hervorragende Kulisse abgegeben hat. Geht aus dem Raum. Naumann debattiert und lässt sich von Vertrauten einschätzen. Einige Berliner Kulturfunktionäre stehen herum, vielleicht könnte man Naumann um etwas bitten – aber ihnen fällt offensichtlich nicht ein, wie. Die Kameras werden eingepackt. Eine Stunde Kulturprogramm aus der Hauptstadt.
JÖRG SUNDERMEIER
Nachtkultur läuft am 31. Mai, 22.15 Uhr, im WDR-Fernsehen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen