berliner szenen: Jazzanova bei H&M
Boutiquenmusik
Am Eingang stand ein Türsteher und meinte: „Der DJ ist gerade shoppen“. Shoppen also. Laut Plan und einseitiger H&M-Opening-Anzeige in allen möglichen Stadtzeitungen hatte der DJ jetzt eigentlich Schicht. Aber es klingt ja auch nicht schlecht, wenn es heißt: „Der neue H&M-Young-Fashion-Store am Ku’damm ist so super, dass sogar „Lil“ Louie Vega, die eine Hälfte der sagenumwobenen Masters At Work, die sonst nie in Berlin gebookt werden, weil sie zu teuer sind, lieber shoppen geht anstatt aufzulegen.“
Während also „der DJ“ nicht an der mitten im Erdgeschoss platzierten DJ-Kanzel anzutreffen war, übernahmen eben die Jungs von Berlins heißbegehrter Daddelsound-Schmiede Jazzanova den Job und legten auf, was sie immer auflegen: ein wenig Latin, ein wenig Brasil und auch sonst viel Stilvolles; halt Musik, die gern auch „Agenturen-Sound“ genannt wird. In vielen New-Economy-Klitschen sitzen nämlich viele junge und erfolgreiche Menschen, die hohen Wert auf kulturelles Kapital legen, um sich von weniger erfolgreichen, weniger schlauen und noch weniger hippen jungen Menschen abzugrenzen. Solche Menschen lieben Jazzanova. Die sind garantiert geschmackssicher, ein klein wenig Underground, und kennen tut sie auch nicht jeder. Doch statt Agenturen-Sound kann man natürlich auch Boutiquen-Sound dazu sagen und dann kommen wir dem angestrebten Synergieeffekt von H&M und hippen DJs ein wenig näher. Boutiquen-Sound muss nämlich vor allem so tun, als sei er superoriginell, er soll nämlich nichts als puren Wohlklang bieten und ein gutes Gefühl beim Kaufen vermitteln. Wo gute Musik läuft, können die Klamotten nicht so schlecht sein. Jazzanova und H&M bilden somit die perfekte Symbiose. Beide klauen alles geschmackvoll zusammen, sind scheinbar hip für die Ewigkeit, in Wahrheit aber doch eher langweilig.
So richtig tanzen oder Club-Atmosphäre simulieren wollte dann auch niemand. Auch nicht bei „Lil“ Louie Vega, der dann doch noch für ein knappes Stündchen seinen Einkaufsbummel unterbrach und ein paar Platten auflegte.
ANDREAS HARTMANN
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