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berliner szenenDie coolen Kids sind weg

School’s on

Wenn man morgens so durch seine Stadt spaziert, fällt einem oft etwas auf. Ein Baum, ein Haus, ein Auto, ein neues Geschäft, ein verlorener Gegenstand. Oder aber man bemerkt: Da fehlt doch was. Etwas, was unbedingt dazugehört. Und das ist plötzlich nicht da. So war es die letzten Tage. Man stand da, sah sich um und wusste: Die Kinder fehlen. Also nicht die Kinder in ihrer kleinen Form, plärrend und unschuldig. Sondern die größeren. Solche, die man schon Bälger nennen muss, die so laut rumstehen und nölen. Die immer just den Probekopfhörer im Musikdiscounter aufgesetzt haben, den man auch gerade haben will. Die in Spielhallen stehen und nicht mal verzweifelt sind, wenn sie hier alles verspielen: Am nächsten Montag gibt’s neues Taschengeld von der Mama. Die im Park alles mit ihren schlacksigen jungen Körpern voll liegen und so prima jung und elastisch sind. Die manchmal einfach nur so ganz cool rumstehen oder unschuldig albern sind und ganz freimachen und tun können, was sie wollen – weil sie so schweinegemein jung sind. Und weil sie keine Aufgaben haben. Und niemand was von ihnen verlangt. Solange sie Ferien haben jedenfalls.

Nun hat aber die Schule wieder angefangen. So erklärt sich die Abwesenheit. Seit Montag werden die coolen Kids zumindest am Vormittag gedrillt und gequält und geschunden und von widerborstigen Lehrern und von gutmütigen Pädagogen an den Lehrplänen entlang zu lebenslanger Arbeitnehmerschaft geführt. Sie werden vorgeformt und hingerichtet auf ein erbärmliches, anständiges Leben als Erwachsener. Und mit dem Erwachsensein drohen Geldsorgen, schwerwiegende sexuelle Frustration, regelmäßige Anfälle von Scham, Verpflichtungen den Schwiegereltern gegenüber und unangenehme Einladungen zu Hausfesten und vor Gericht. Und eben keine Freiheit mehr. Das ergibt dann: grenzenlosen Neid auf die Mädels und Buben, denen es besser ergeht. Doch gestern war ein schöner Tag. Man konnte sich mittags ins Café setzen und zusehen, wie gebeutelte Schülerinnen und Schüler bleich nach Hause taumeln. Und wurde ganz milde mit einem Mal. Ach ja, Jugend . . . JÖRG SUNDERMEIER

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