berliner szenen: Thor Kunkel im Mudd
Glucks-Agenten
Tatort-Kommisar Palü lehnt lässig an der Theke des Mudd-Clubs in der Großen Hamburger Straße, trinkt ein kleines Mineralwasser und blickt missmutig ins Publikum. Herr Palü, was machen Sie denn auf Thor Kunkels Hawai-Thriller-Lesung? Er wirkt hier wie ein Literaturagent auf Nachwuchssuche. Schwenkt das Wasserglas, die Hörer fest im Blick, gluckst in sich hinein, dann wird er wieder ernst. Sehr ernst. Karin Graf ist schon da. Die Top-Agentin. Sie trägt sechzehn Bände des neuen „Kunkel“ unterm Arm. Der Mann gehört mir, raunt sie dem Kommisar noch zu und tänzelt durch die voll besetzten Leserreihen.
Die Leser sind gebannt. Thor Kunkel liest aus seinem neuen Buch „Ein Brief an Hanny Porter“. Er trägt ein fliederfarbenes Hemd, blonde Locken, braune Haut, auf seinem kunstrasengedeckten Lesetischchen liegen Hawaiiblumenketten. Die Spannung steigt. Eine Geiselhaft im Paradies nimmt langsam, langsam ihren Lauf. Eine Spaghetti-Sauce war vergiftet. Wird Richard wieder zu sich kommen? Thor Kunkel kommt ungerührt zum Ende. Er liest: „Hannys Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Dann gingen die Lichter aus.“ Im Mudd-Club gehen die Lichter an. Man applaudiert. Palü ist verschwunden. Frau Graf strahlt. VOLKER WEIDERMANN
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