berliner szenen: Beute-Relaunch
Jetzt Subtropen
Es gab eine Zeit, da konnte man sich über die blaue Neonschrift oben an der Hausfassade vom Maria freuen. „Pop“, das las sich schon von weitem wie eine Einladung und Warnung zugleich. „Pop“, das war eine Art Piratenflagge über der offenen Fläche zwischen East-Side-Gallery und Ostbahnhof. „Pop“ als Anliegen und cooles Wissen der Linken, das ist lange her, vielleicht auch, weil die Gästeliste immer länger wurde.
Die Beute hat unter dieser Unübersichtlichkeit des Phänomens gelitten. 1994 war die Zeitschrift angetreten, um Neomarxismus, Subkultur, politischen und künstlerischen Aktivismus zusammen zu bringen. Der Weg ging nach unten: Erst Kursbuch-Format, dann Krise und Soli-Veranstaltungen, bis hin zum „begehbaren Heft“ als Ausstellung im Kunstamt Kreuzberg. Aus „Politik und Verbrechen“ im Untertitel wurde „Kritik und Versprechen“, nun liegt eine verschlankte Version von acht Zeitungsseiten monatlich einmal als Supplement der Jungle World bei. Selbst der Name wurde dem neuen Mutterschiff angepasst – Beute heißt jetzt Subtropen.
Inhaltlich hat man sich ganz von Pop verabschiedet: Toni Negri und Michael Hardt setzen sich im Aufmacher mit der „Neuformierung der Herrschaft“ und „Perspektiven des Widerstands“ auseinander, die sich aus der New Economy ergeben haben. Viel Geschichte zum Nationalstaat und am Ende der Zweifel am modischen Netzwerk aus flottierenden und flexibilisierten Subjekten, die mit ihrem Sowohl-als-auch dem „Empire“ bloß zuarbeiten. Das Gegenmodell kommt bei Jon Savage als Rereading des Punk daher, weil „die Radikalität von 76“ doch die richtige gewesen sein soll. Dazwischen kleine Fotoinseln: UN-Sicherheitsrat, lateinamerikanische Textilarbeiterinnen und die Sex Pistols.
Im Maria kann man sich zur Relaunch-Party nicht so gut auf die alten Vorbilder einigen. Herr Rapp legt Soul und Hendrix auf, Herr Avignon spielt mit seiner Ein-Mann-Combo Neoangin eher eine Moby-Variation am Billigsynthesizer, und Britta sind wie gewohnt karg, grobmaschig und bitter. Im Foyer haben derweil die Erfolgslinken vom Buchladen „pro qm“ einen Merchandize-Tisch aufgebaut, damit man Glitter-bedruckte Britta-T-Shirts kaufen kann. Oder Avignons CD.
Für die meisten ist der Abend ohnehin ein Treff unter Kollegen, eine Lounge auf dem Stopp zwischen zwei Kongressen. Die Posten im Kulturbetrieb sind vergeben, die Karawane zieht weiter. Das weiß auch Andreas Fanizadeh, der seit den Anfängen in der Beute-Redaktion arbeitet. Seine Begrüßung fällt ziemlich knapp aus: Ein Dankeschön an die Crew der Jungle World und der Hinweis, dass auf der Bühne die Party stattfindet und draußen halt die Politik ausliegt. Richtig zufrieden sieht er nicht aus, eher skeptisch. So steht es ja auch im Editorial der ersten Subtropen-Ausgabe: „Selbst für alltägliche Beziehungen werden Formen der Berechnung und gegenseitigen Entmündigung als Konstanten des Lebens propagiert, anstatt es für Konflikte und die Freiheit von Herrschaft zu öffnen.“ Der Fun ist vorbei, aber wie soll man das feiern?
HARALD FRICKE
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