berliner szenen: Fenster des Schreckens
Rauchpause
Schöneberg. Goltz-, Ecke Frankenstraße. In der Nähe ein in der Umgebung weltberühmter Hot-Dog-Laden. Cafés. Kleine Geschäfte. Eine ehemals hippe, nun superangenehme Wohngegend für gelassene Großstadtbewohner mit gelegentlich kleinstädtischen Anwandlungen. Doch auch so eine gesettelte Umgebung hat ihre Schrecken.
Einer dieser Schrecken besteht aus einem Fenster. Auf das Fensterbrett stützt sich gelegentlich ein Mann und schaut nach draußen. Er raucht dann eine Zigarette. Er macht Pause. Er ist Schreiner. Bei gutem Wetter ist er oft im Unterhemd zu sehen. Hinter dem rauchenden Mann kann man einen Blick ins Zimmer erhaschen. Es ist ein schlichtes Zimmer, das zum Arbeiten gedacht ist. In dem Zimmer stehen Särge. Der Mann ist der Schreiner vom Bestattungsinstitut nebenan. Und da kann man schon nachdenklich werden: Da meint man einer hübschen Genreszene beizuwohnen und ist doch mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Mitten in Schöneberg sind wir vom Tode umgeben!
Die Anwohner nehmen es übrigens gelassen. Gestört hat sich an dem Anblick noch niemand. Es ließ sich schon manch netter Plausch zwischen dem Schreiner und diversen älteren Damen beobachten. Nur dass man Angehörigen doch raten möchte, sich dem Bestattungsinstitut von der anderen Seite aus zu nähern. Aber wahrscheinlich werden die Angehörigen vom Bestattungsunternehmer sowieso bei sich zu Hause besucht.
Nach einer gewissen anfänglichen Irritation kann man die ganze Szene, ganz nebenbei, auch tröstlich finden: Wem gönnt man schließlich lieber eine Pause als dem Sargtischler. Ist doch gut, wenn er nicht so viel zu tun hat! drk
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