berliner szenen: Casati und Kracht lasen
Aufgesaugt
Seit Tagen hatte ich mich gefreut, endlich mal wieder eine Veranstaltung einfach abtun zu dürfen. Rebecca Casati und Christian Kracht lesen im Co lumbiaFritz? Das kann ja wohl nichts werden. Die Popliteratur begibt sich an die Orte der Popmusik: Zwei verlorene Figuren auf einer viel zu großen Bühne. Und dann der Eintritt: Hat jemand schon mal 25 Mark für eine läppische Lesung bezahlt?
Aber, ach, was sehe ich, als ich die Halle betrete: Auf fast allen Stühlen sitzen angenehme, junge Menschen. Die beiden Autoren betreten die samtig ausstaffierte Bühne und Rebecca Casati schlägt erfreulich kommentarlos ihren gerade erschienenen Roman „Hey Hey Hey“ auf. Sie liest langsam, als ob es im Leistungskurs Deutsch um ein Gedicht von Rilke ginge, also durchaus becircend, aber dann ist es doch nicht Rilke, sondern hohler Gemeinplatz, was da passiert, und meine Andacht sackt schnell weg. Ich wache wieder auf, als Christian Kracht dran kommt. Es hat Klasse, wie er die dämlich geratenen Figur aus seinem neuen Roman „1979“ karikiert, einen peinlich naiven, schwulen Ästheten, der sich mitten in der iranischen Revolution für mit Rohseide bezogene Sofas interessiert. Wie Christian Kracht durch seinen Vortrag noch eine weitere Ebene der Distanzierung einzieht, das hat Eleganz. Es lässt Geschichte dermaßen unwirklich erscheinen, dass plötzlich alles umschlägt – und das Geschehen ganz nahe rückt. Auf einmal bin ich aufgesaugt ins Gelesene. Da stört es dann auch nicht mehr, dass nach der Pause doch noch der unvermeidliche Busenfreund Benjamin von Stuckrad-Barre auf die Bühne kommt und beim Rollenlesen mitmachen muss. SM
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