berliner szenen: Damen haben Hunger
Direkt praktisch
„Na, hast du Lust?“, fragt die blonde Bordsteinschwalbe den älteren Herren, der die Oranienburger Straße entlang flaniert. Er hat keine, also wird der nächste Passant angehauen. Der will auch nicht und ich habe auch keine Lust auf zu bezahlenden Sexualverkehr. In Pullis eingemummelt sitze ich lieber vor der „Assel“ und schlürfe Milchkaffee. Die geschäftstüchtige Nutte steht immer noch auf der anderen Straßenseite und spricht unermüdlich Männer an. Nach zehn Absagen überquert sie die Straße, verschwindet kurz aus dem Blickfeld und kehrt schließlich mit einem Cocktail wieder, nimmt ihren alten Standort ein, eine Motorhaube dient als Abstellfläche für den orangefarbenen Drink. So lässt es sich viel angenehmer arbeiten! Wird es demnächst kälter, wird die pragmatisch veranlagte Dame des horizontalen Gewerbes wohl auf warme Getränke umsteigen. Die Auswahl ist dank umliegender Lokalitäten groß, was auch für den kleinen oder großen Hunger gilt.
Nicht alle Nutten Berlins haben so einen gemütlich-urbanen Arbeitsplatz. In der öden wie langen Straße namens Alt Biesdorf in Marzahn stehen auch welche. Doch außer Wohn- und Autohäusern gibt es keine einzige Kneipe, kein Restaurant, nicht mal einen Imbiss. Nur die Straße und vorbeirasende Autos. Hier wird kein Passant über direkte Ansprache in ein Geschäft verwickelt, weil es keine gibt. Was aber machen die Frauen, wenn sie Durst oder Hunger bekommen? Haben sie Thermosflaschen und geschmierte Stullen dabei? Allein sind die Damen in Marzahn mit ihrem Schicksal jedoch nicht. Ihren Kolleginnen in der Straße des 17. Junis geht es genauso. Dafür stehen sie hier wenigstens im Grünen. ANDREAS HERGETH
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