berliner szenen: Laut und traurig rufen
Schleifen aus Nummern
Manchmal befällt einen in der modernen Welt ein stilles Gefühl von Verlorenheit. Technische Neuerungen erschweren jede echte Kommunikation, in Kosumbeziehungen werden Freundschaften simuliert und mit all den falschen Versprechungen kippt die Dienstleistungsgesellschaft eine große Leere über das eigene Dasein. Wenn man im Dezember nachts um fünf in einem dunklen Zimmer sitzt und versucht seine Bankkarte sperren zu lassen, die einem gerade draußen gestohlen wurde, erschließt sich der Zusammenhang von Kapitalismus und Depression jedenfalls schnell. Um eine Kartensperrung einzuleiten, kann man eine 24-Stunden-Hotline anrufen. Sie kostet 24 Pfennig pro Minute. Die Spracherkennung des Computers am anderen Ende der Leitung funktioniert indes nur mangelhaft. Man sitzt allein im dunklen Zimmer und ruft laut und traurig die einzelnen Ziffern der Bankleitzahl in den Hörer. Die weibliche Computerstimme der Hotline versteht nicht. Sie wiederholt unnatürlich artikulierte Sätze, verkehrte Zahlen, redundante Höflichkeiten. Der Sinnhaftigkeit dieser Elektronik ist nicht zu folgen. Die Stimme wirft einen immer wieder auf dieselbe Schleife aus Antworten und Nummern zurück. Irgendwann fühlt man sich beim Reden mit dieser Maschine sehr melancholisch. Später verbindet einen der Computer dann doch noch mit einem Mitarbeiter des Call-Centers. Es ist ein freundlicher Araber. Er ist allein zuständig für alle Kartensperrungen, die um diese Uhrzeit in Deutschland eingehen. Der Araber sagt, er fühle sich auch ein wenig einsam. Er ist der Einzige, der nachts in den weiten Räumen des Centers arbeitet. Die Büroräume befinden sich irgendwo am Stadtrand von Frankfurt/Main. KIRSTEN KÜPPERS
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