: berliner szenen Zweimal Julia
Magere Zeiten
„Sophie Scholl – Die fetten Jahre“. Nee, Quatsch. Nee, doch! Fast hätte ich beim Radeln durch das Grenzgebiet von Schöneberg/Wilmersdorf die Reklame des Cosima-Kinos übersehen. Doch das kam mir jetzt doch etwas merkwürdig vor. Also schaute ich noch mal zurück.
Bisher hat man uns immer nur sieben magere Jahre vorgesetzt. Das war wohl nur die Kehrseite der Medaille. Jetzt also endlich die Vollfettstufe. Die ganze Scholl abendfüllend, eine Delikatesse, la grande bouffe. Und Schokolade zum Frühstück. Aber dann wiederum: Ist das nicht etwas sehr verkürzt? Stellt das nicht die Dinge auf den Kopf? Und mal ehrlich: Ist das nicht irgendwie auch ganz schön geschmacklos?
Wie ist so was nur möglich! Gibt es denn keine freiwillige Film-Selbstkontrolle mehr, die uns vor dem Missbrauch der Meinungsfreiheit bewahrt? Geht Otto Schily nicht mehr oft genug ins Kino? Hier wird ja hart am 8. Mai vorbei unsere antifaschistische Vergangenheit durch den Kakao gezogen! Wenn das nicht eindeutig pervers, staatsfeindlich und jugendgefährdend ist, was dann? Mir schwante Fürchterliches. Bald würden wir Titel lesen müssen wie: „Stauffenberg – Piraten in der Karibik“ oder „Speer – Alle sagen I love you“.
Doch halt, die Anständigen sollen sich ihren Aufstand für später aufsparen. Ein Blick in das Kinoprogramm der taz überzeugte mich davon, dass im Cosima tatsächlich beide Filme parallel laufen. „Die letzten Tage“ und „Die fetten Jahre“. Und in beiden Fällen natürlich mit Julia Jentsch. Es ist gar nichts Schlimmes passiert. An der Fassade des Cosima ist einfach zu wenig Platz, und vielleicht sind auch die Buchstaben knapp geworden, die fetten Jahre sind wirklich vorbei.
ANSGAR WARNER