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berliner luftRaus aus der Raucherecke

die berlin-parlamentskolumne

von Ulrich Schulte

Neben meinem Job als Ersatzparlamentskolumnenschreiber habe ich die Aufgabe, über die Partei Bündnis 90/Die Grünen zu berichten. Ich sage es mal so: Viele Grüne sind nett und schlau, aber sie können einem auch sehr auf die Nerven gehen. Jetzt, kurz vor der Wahl, Jamaika im Blick, wollen sie unbedingt alles richtig machen. Sie loben Helmut Kohl über den Klee, sie geben sich bürgerlich, möchten aber auch ein bisschen rebellisch sein.

Am vergangenen Wochenende haben sie ihren Parteitag veranstaltet. In grauer Vorzeit ging es da zur Sache, Farbbeutel und Gebrüll, Krieg und Frieden. Man wusste nie, wie es ausgeht. Die Grünen von heute inszenieren eine amerikanisch anmutende Politikshow. Boxen wummern, „Roar“ von Katy Perry, der ganze heiße Scheiß. Die Spitzenleute müssen tanzen. Zumindest machen Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir Bewegungen, die man in diese Richtung interpretieren kann.

Wir in der taz sind sicher die Letzten, die etwas gegen „Dancen“ (Göring-Eckardt) haben. Es ist noch nicht lange her, da wollten wir selbst die Verhältnisse zum Tanzen bringen.

Aber sind dancende Spitzenpolitiker, die mit Merkel und Seehofer koalieren wollen, nicht etwas too much? Bringt sowas ökosozialen Veränderungswillen anschaulich auf den Punkt – oder ist es nur peinlich? Was ist die Botschaft? Die Grünen haben ja zum Beispiel kein Problem damit, das Asylrecht zu verschärfen oder eine bescheuerte Erbschaftsteuer durchzuwinken. Aber wenigstens sehen sie dabei gut aus? Eine Kollegin und ich sitzen hinten auf den Presseplätzen, kauen jamaikaeske Haribo Tropifrutti und sind hin- und hergerissen.

Als Cem Özdemir redet, müssen alle Kandidaten für den Bundestag auf die Bühne, um demonstrativ zu applaudieren. Dort oben ist es heiß, gleißend hell, und eine Stunde zieht sich verdammt lang. Renate Künast hat nicht aufgepasst und steht direkt hinter Özdemir, gut sichtbar für die Kameras. Das ist das Lustigste am ganzen Parteitag: Wie Künast bis zum Schluss krampfhaft versucht, die Mundwinkel oben zu halten. Gute Laune wider Willen, lost in Inszenierung.

Wenn ich mir etwas für den nächsten Grünen-Parteitag wünschen dürfte, wäre das etwas mehr Spießigkeit. Brav und wild sein geht nicht gleichzeitig. Ein Klassenbester, dem Mama morgens Gurkenscheibchen einpackt, hat in der Raucherecke nichts zu suchen. Und falls ihr nicht mehr wisst, wie Authentizität geht: fragt Renate Künast.

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