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berlinalieHalbzeitdepression

Matsch im Hirn

Zuerst ist alles ganz wunderbar. Der Potsdamer Platz und seine Kinos verschlucken so viele Menschen, dass man freudig mit weggerissen wird in dem Strom derer, die das tun, was alle tun: Filme gucken. Deshalb schwebt man das Wochenende vom Cinemaxx ins Cinestar und manchmal auch in den Berlinale Palast, um dort nachzusehen, ob das Lächeln von Johnny Depp oder die Bösartigkeit von Anthony Hopkins oder das Elend von Emma Thompson einen berühren. Drei Tage hält dieses Hochgefühl an, weil man keine Vergleiche anstellt, weil man nur sieht, hin und her eilt zwischen den Bildern und doch immer viel zu spät versteht, ob das, was man gesehen hat, wichtig war oder völlig unwichtig. Deshalb lachen auch einige, wenn sie eben noch überwältigt waren von blöd verzweifelten irischen Teenagern und gleich darauf wieder in ein noch ferneres, noch seltsameres Leben eintauchen, das vielleicht dem eigenen gleichen könnte. Diese Suche, die hat was.

Spätestens am Montagabend wird man nüchtern. Das liegt nicht an den Filmen, die laufen weiter. Nur die Euphorie ist futsch, vorbei, auf Wiedersehen. Plötzlich verdichtet sich, was eben Erlebnis war, zur Routine. Vor dieser Enttäuschung versuchen sich fast alle auf die gleiche Art zu schützen: Mit jedem Film, der nicht zu Ende gesehen wurde, sucht man Gleichgesinnte, um sich in der gemeinsamen Ablehnung übers Spektakel zu erheben. Massenhaft türmen Zuschauer mit Presse-Badges aus Vorstellungen, um sich woanders wieder anzustellen, und in den Warteschlangen werden pausenlos Urteile gefällt. Lauter Zuordnungen, die das bisschen Matsch im Hirn verdecken sollen, das mit den vielen Bildern entstanden ist, die sich gestern noch so wenig vergleichen ließen. Auf Kunstmessen reden die Leute vom Fach in solchen Momenten von der Rückkehr der Abstraktion und dem Ausverkauf der neuen Medien. Im Kino reden sie über den Mangel an Wahrhaftigkeit, der sich in einem ganz bestimmten Kameraschwenk Spikes Lee entlarvt haben soll. Auf Partys ist das der Augenblick, in dem man geht. Am besten schlafen. hf

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