berlin buch boomCarmen-Francesca Bancius Berlin: Sättigungsbeilage Stadt
Sie kennt Berlin seit dem Fall der Mauer. In ihrem Buch „Berlin ist mein Paris“ beschreibt Carmen-Francesca Banciu, wie es ist, als Rumänin in Berlin zu leben: Man lebt gut, aber man ist irritiert. Denn, so Banciu, wohin man geht, es herrscht Pracht: Man selber weiß, wenn man aus einem derart armen Land kommt, gar nicht, wie man mit solch einem Reichtum umgehen soll.
Banciu kommt aus der Welt der rumänischen Plattenbauten. Folglich erscheinen ihr die die Deutschen wie fremde Tiere und Deutschland wie ein schöner Zoo. Das ist eine prima Sichtweise, und dank ihrer hätte das Buch ein gutes Buch werden können. Carmen-Francesca Banciu aber will unbedingt Teil des Zoos sein. Zwar hat sie eine andere Geschichte als ein Eingeborener von Steglitz, ihre Berlin-Beobachtungen aber sind die Nämlichen. Sie bezieht sie wie jener aus der Presse.
Das beginnt bereits bei der Selbstinszenierung: Nicht nur, dass Banciu sich gern mit Hemingway vergleicht, sie lässt sich auch für das Coverfoto in einem Café ablichten. Schon sieht sie aus, wie gemeinhin gesagt wird, dass Dichterinnen und Dichter aussehen. Und sie fühlt sich als Exilantin. Doch erfahren wir wenig über ihr Exilantentum – weder beschreibt sie Berlin, noch beschreibt sie Rumänien. Alles was sie sieht, ist Oberfläche: der Potsdamer Platz, die Berliner Künstler, die Touristen. Auch viel hören wir von Banciu. Sie kennt berühmte Leute. Sie wird gern auf Lesungen eingeladen. Sie hat Literaturpreise gewonnen. Sie hat auch gelitten.
Allerdings: Wir erfahren stets weder, wie noch warum. Das Buch ist also weder Erforschung des Ego, noch ist es Erforschung der Stadt. Was aber ist es dann? Es ist: reine Meinung. Vor zwei Jahren hat der Berliner Autor Stefan Wirner eine Montage veröffentlicht, in der er unzählige Zitate aus der im Thema Berlin glücklich vereinten Presse zu einem Jubeltext montiert hat. Es sind, na klar, 120 sehr lustige, aber auch sehr elende Seiten geworden, voll gestopft mit Phrasen. Banciu nun verdächtigte ich zunächst des Plagiats: Ihr Text ist gleichfalls nichts als eine Verkettung von Phrasen. Doch es ist kein Plagiat. Denn sie gibt die Phrasen für eigene Erkenntnisse aus.
Das liest sich dann so: „In Berlin geht alles so schnell. Und manches schnelllebig. Ich habe mich an die Baustellen gewöhnt.“ Offensichtlich hat Banciu aus der B. Z.-Redaktion die Phrasendreschmaschine entwendet. Ihr Publikum bedient sie aufs beschämendste: alles, was man sich irgendwo als Lebensweisheit zurechtgelegt hatte, wird hier als große Erkenntnis platt gewalzt, bis man wirklich nie wieder von „der Welt“ oder „dem Leben“ reden hören mag. Das ist der positive Effekt dieses Buches. In den Restaurants, die Banciu gern aufsucht, wird das eigentliche Essen gern „an“ der Sättigungsbeilage serviert. In diesem Sinne sind Bancius Texte Sättigungsbeilagen „an“ Berlin. Ohne Berlin wären sie wertlos. Mit Berlin sind sie es leider auch.
JÖRG SUNDERMEIER
Carmen-Francesca Banciu: „Berlin ist mein Paris“. Ullstein Verlag, Berlin 2002, 192 Seiten, 18 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen