piwik no script img

■ beiseiteBecker liest Döblin

Ganz schön was los im Theatersaal des Maxim-Gorki-Theaters: Rundliche und schlanke Frauen tummeln sich da, westdeutsche Touristen und Urberliner drängeln sich um die besten Plätze, und wer zu spät kommt, hat auch nicht die geringste Chance, noch ein Kärtchen zu ergattern. Grund für diesen Andrang: Ben Becker. Der liest und singt an diesem Abend Alfred Döblins „Berliner Geschichten rund um den Alex“. Der gelernte Psychiater und Autor des Erfolgsromans „Berlin Alexanderplatz“ lächelt therapeutisch von der Bühnenwand ins Publikum herunter.

„Nur die Dosis sagt, was los ist“ steht dort geschrieben, eine blutrote Arbeiterfahne leuchtet. Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, schrieb über seine Ankunft in der Hauptstadt: „Ich kam in Berlin in einem Zustand an, der sich nicht viel unterscheidet von meiner Geburt.“ Ben Becker liest mit tiefer, samtener Stimme, die Geburtswehen setzen ein, werden untermalt von Trommeln, Schlagzeug und Gitarre: „Jannowitzbrücke, Alexanderplatz, Friedrichstraße, Frohnau“, röhrt er die Stationen ins Mikro. Einige Zuschauer halten sich die Ohren zu. „Wannsee“ – das Kind ist geboren.

Ben Becker übertrifft bei seiner Lesereise durch das autobiographische Werk Döblins nicht nur den alten Sander, sondern auch sich selbst. Spielerisch kombiniert er Text und Sound: „Ich bin eine Kröte und kröte hier vergnügt herum“ zitiert er fröhlich das plätschernde Treiben rund um den Alexanderplatz. Kontrastierend werden Worte wie „Entschuldigen Sie, ich wollt' nicht weiter stören, ich bin arbeitslos“ von den Musikern aggressiv verpackt bis hin zur Schmerzgrenze. Die ersten älteren Herrschaften gehen, Ben Becker liest weiter. Über das Ostberlin der zwanziger Jahre, über Weltwirtschaftskrise, Antisemitismus und Banalitäten. So spaziert man mit Becker/Döblin von der Frankfurter Allee über die Weberstraße zum Strausberger Platz, macht halt bei einem Joint, der gerade auf der Bühne kursiert. „Es geht nur darum, ein bißchen Spaß zu haben“, sagt Bekker dem Publikum.

Doch man spürt, ihm ist es ernst dabei. Die Hommage an Alfred Döblin ist kein willkürliches Happening, keine improvisierte Bier-Performance. Becker arbeitet. Er bemüht sich um richtige Betonung, tanzt, schwitzt und verausgabt sich. Sehr gut verbinden sich bei ihm Ehrgeiz und Lockerheit, Perfektionsdrang und der Mut zum Gefühl. Leider stellt sich das Maxim-Gorki-Theater für diese Art von Lesung als ungeeignet heraus. Man sitzt spießig auf rotgepolsterten Stühlen, obwohl man lieber mitschwofen würde. Auch die Akustik funktioniert nicht richtig, und die Preise sind zu hoch. Für die Vorstellung „Berlin Alexanderplatz“, die am 28. Mai Premiere hat, kosten die Karten 185 Mark. Ben Becker spielt darin den Hilfsarbeiter Franz Biberkopf. Der hätte wohl draußen bleiben müssen.

Katja Hübner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen