barbara dribbusch über Gerüchte: Meine dritte Retro
Was zieht die Lady in mittleren Jahren an? Eine Stilkunde
Die letzte Irritation ist erst wenige Wochen alt. „Mama, wie sahen eigentlich Punks aus?“, erkundigte sich meine Tochter, die soeben die Vorpubertät betreten hat. Sie wollte an Fasching als Punk gehen. In ihre Jeans mit Schlag hatte sie sich sorgfältig Löcher geschnitten und auf ihr T-Shirt ein Peace-Zeichen gemalt. „Hör zu“, sagte ich müde, „Punks trugen keine Schlaghosen. Die Jeans waren damals gerade geschnitten. Und das Peace-Zeichen haben auch eher die Hippies benutzt. Aber ist ja auch egal.“ Es ist nicht leicht, Zeitzeuge zu sein. Wo doch das Gedächtnis im Alter nachlässt.
Fertig gestylt zog die Tochter schließlich zur Party: mit kunstvoll gelöcherten Schlaghosen, einem Peace-Zeichen auf der Brust und einem großen Anarchisten-A auf dem Rücken ihres bauchfreien T-Shirts. Ihre langen blonden Haare hatte ich auf Wunsch blau angesprüht.
Meine Tochter hat es leicht. Ich aber nicht. Ich habe ein echtes Styling-Problem. Was zieht man an, wenn man outfitmäßig nicht mehr alles vor, sondern schon alles hinter sich hat? Wenn man gerade die dritte Retrospektive jener Zeit erlebt, in der man als Teenager das erste Mal einen Lack-Mini überstreifte und sich auf Plateauschuhe wagte?
Hier eine typische Outfit-Biografie, vielleicht haben Sie ja die gleiche, vielleicht mit etwas Zeitverschiebungen, ist ja auch egal. Also: Da war der Parka-Look mit 14 Jahren, dann kamen die indischen Hemden und die Henna-Haare mit 17, Plateauschuhe und Lack-Mini mit 19, die Punk-Frisur mit 23, der Leder-Look mit 28, das Business-Kostüm mit 38. Und was mache ich jetzt, wieder Jahre später ?
„Hauptsache, du trägst nie eins dieser weinroten Herbstkostüme, wie sie für ältere Frauen typisch sind“, riet mein Jugendfreund Simon neulich. Simon hat ganz konkrete Probleme mit seinem Styling: Trage ich den Hosenbund hochgezogen, über der Wampe, also kaschierend – oder doch eher bequem, ehrlich, aber unvorteilhaft unter dem Bauch?
Ich weiß nicht, was ich ihm raten soll. „Wenn du die Hosen hochziehst bis zu den Brustwarzen, siehst du aus wie ein 40er, der jetzt seine Hosen hochziehen muss, um den Bauch zu verstecken. Ist auch ungünstig“, scherze ich matt. Zu gewissen Themen kann man als Frau so wenig sagen, wie Männer wohl auf die Frage antworten können: „Findest du, ich sehe heute älter aus als im Januar?“
Die Anatomie diktiert ja ohnehin einiges: Mein Nennonkel Wladimir, der die 80 schon überschritten hat, erwähnte neulich, er habe seine Hosenbeine kürzen lassen, „das kommt automatisch, wenn man im Alter kleiner wird“. Auch meine elfjährige Tochter kleidet sich anatomisch korrekt: Wer mit seiner Jugend ein bisschen angeben will, geht selbstverständlich bauchfrei, um die Fettdepot-freie Körpermitte der Welt zu präsentieren.
„Flüchte dich bloß nicht in Markenklamotten“, warnt Freundin Britt, „dann bist du tot.“ Britt läuft meist in ihren grünen Worker-Hosen rum, was nicht nur gut zu ihrer kupferfarbenen Mähne, sondern auch zu ihrem Selbstverständnis als bildende Künstlerin passt. Doch nicht jeder hält sich für etwas ganz Besonderes. Für meine Bekannte K. zum Beispiel haben Markenklamotten eine identitätserhaltende Funktion.
K. ist erstens ziemlich reich und zweitens die Einzige, die mir den Unterschied zwischen Gucci- und Armani-Hosenanzügen erklären kann. (Gucci-Sakkos sind taillierter.) K. hat kürzlich ihren Job als Abteilungsleiterin gekündigt, um sich mehr um ihre beiden Pflegetöchter kümmern zu können. Die beiden Mädchen tun sich ein bisschen schwer in der Schule. Jetzt sitzt K. nachmittags zu Hause und übt mit ihrer jüngsten Tochter das Rechnen im Zahlenraum bis hundert. Dabei trägt sie ihren Armani-Hosenanzug, aus psychologischen Gründen. „Das gibt mir Zuversicht, dass ich den beruflichen Einstieg später wieder schaffe“, sagt K. Wir diskutieren darüber, ob man eher in Armani oder in Gucci das Kinderzimmer aufräumen sollte. Auf jeden Fall eignen sich Hosenanzüge mit Stretchanteil besser für die Hausarbeit.
Wollen wir nicht herumlügen: Klamotten haben immer etwas mit dem sozialen Status zu tun. Und mit Geld. Das wissen schon Kinder. „Mama“, hatte mein kleiner Sohn gefragt, „wie sieht eigentlich ein Millionär aus?“ Dann zog er los zur Party: schwarzer Anzug, schwarze, gewienerte Schuhe, Sonnenbrille. Das Walkie-Talkie wollte er unbedingt mitnehmen. Die Geldscheine vom Monopoly-Spiel quollen ihm aus der Brusttasche. Neben ihm ging seine als „Punk“ verkleidete große Schwester.
Ich sah den beiden hinterher. Morgen verkleide ich mich auch. Ich fang noch mal von vorne an. Parka gibt es heute schließlich mit Glanzoptik, wasserdicht und atmungsaktiv. Und mittlerweile sogar mit echtem Fellkragen.
Auch noch ein paar Klamottentipsin petto?kolumne@taz.de
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