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barbara dribbusch über GerüchteDie Antineidformel bringt’s

Die Leute wollen Lebenshilfe. Metaratgeber. Ein Besuch bei der Buchhändlerin

Der letzte Rat, den ich bekam, ist erst fünf Tage alt. Wirklich. Ich habe genau nachgerechnet. Fünf Tage. Das nenne ich frisch.

An jenem Vormittag besuchte ich meine Buchhändlerin Lisa, die schon seit vielen Jahrzehnten eine kleine, aber feine Buchhandlung in Berlin-Schöneberg betreibt. Man kann dort im Hinterzimmer in Ruhe lesen, es gibt sogar eine Kundentoilette, deren Tür klemmt.

Lisa habe ich es zu verdanken, dass ich in diesem Leben mehrere Werke über die Kulturgeschichte von Liebe, Tod und Sex sowie einige dünne Bändchen über französische Medientheorien verdaut habe. Und dann waren da natürlich die roten, blauen und grünen Suhrkamp-Büchlein, in denen man alles erfahren konnte über die Verteilung von Macht und Geld. Früher standen sie meterweise im Regal direkt am Eingang. Jetzt muss man diese Schriften auf einem kleinen Bücherbord hinter der Kasse suchen.

Schon lange boome das Politische nicht mehr, erklärte mir Lisa. Das Letzte, was die Leute wollten, sei irgendeine allgemeine Gesellschaftskritik. Ich war in der Hitze auf einen Stuhl zusammengesunken und nickte. Ich kenne das: An manchen Tagen will man einfach nichts Negatives hören.

Lisa setzte nach: Das sei nicht etwa, weil die Menschen unpolitisch und oberflächlich geworden seien. Das Gegenteil sei der Fall. „Die Leute wissen heute genau, was ungerecht ist. Genau deshalb wollen die das nicht noch in Büchern nachlesen.“ Lisa wies auf das neue Regal direkt am Eingang. „Ratgeber, das läuft. Am besten sogar Metaratgeber, die schon die besten Ratschläge aus früheren Ratgebern zusammenfassen.“ Ich erblickte im Regal Titel wie „Simplify your life“ und „Jeder Fisch ist schön“, ein Buch über Männerfang.

Ich zog das Lebensvereinfachungsbuch heraus. Als Kind hat man das ja gehasst, diese Ratschläge von der älteren Generation. „Immer warme Unterwäsche tragen und Respekt vor den Leuten haben“, hatte mir Großtante Zilly eingeschärft. Aber wie das so ist mit Dingen, die nichts kosten und von denen man zu viel abbekommt: Man denkt, sie haben keinen Wert.

Das Vereinfachungsbuch ist hingegen ein Megaseller. Die Tipps kann jeder befolgen, genau wie Zillys Ratschläge. Man beginnt damit, die Getränke zu vereinfachen: Jeden Tag zwei Liter Leitungswasser trinken, im Winter warm, denn „Wasser ist die billigste Medizin“. Dann kommt die Gefühlsvereinfachung. Wer Neid verspürt, sagt sich einfach still die „Antineidformel“: „Ich gönne dir das!“ Dann gibt es den ultimativen Partnerschaftstipp, gewissermaßen die Vereinfachung der Beziehungsratgeberliteratur: „Nicht nörgeln – niemals.“ Volltreffer.

Wie einfach doch das Leben sein kann. Das muss einem nur mal jemand sagen, dann glaubt man auch dran. Mir ist kürzlich auf der Klettertour schon aufgefallen, wie aufmerksam die akademisch gebildeten Teilnehmer den abendlichen Betrachtungen des Bergführers lauschten, wenn dieser schon ein paar Schnäpse intus hatte. Sprüche wie „Angst kann man überwinden“ oder „Man klettert im Hier und Jetzt“ wirkten irgendwie klärend. Wir fühlten uns schlicht und trotzdem bedeutsam.

Vereinfachung entlastet, man selbst ist schließlich schon kompliziert genug. Lisas anderer Renner ist das Männerfangbuch, in dem Anmach-, Flirt-, Klamotten-, und Schönheitstipps konzentriert werden. Ich verdichte jetzt mal: Im Restaurant immer mit dem Rücken zur Wand sitzen, damit man gesehen wird. Sich nicht zu sehr aufbrezeln und überhaupt nicht zu viel von Männern erwarten. Denn die „fühlen sich zu Recht überfordert, wenn sie 24 Stunden den Traumprinzen geben sollen“.

Aufgeräumt wird mit überholten Tipps, etwa dass man in Waschsalons, Videotheken oder Baumärkten besonders viele Singlemänner treffen würde. Das stimmt. Ich kenne keine, die ihren Partner an einem dieser Orte kennen gelernt hat. Weil die meisten Männer eben in Videotheken Videos ausleihen, im Baumarkt Dübel kaufen und zu Hause inzwischen eine eigene Waschmaschine haben.

Ein paar Tipps aber gelten noch. Ich erinnere mich an einen alten Eheratgeber. Um die Ehe frisch zu halten, so stand darin, solle man sich „nach spätestens zehn Jahren einen neuen Bademantel“ kaufen. Das war wirklich deutlich.

„Eigentlich will man doch nur, dass jemand mit einem spricht, eine Autorität, irgendwer, der das Leben kennt“, sinniere ich und kippe das Glas Wasser hinunter, das mir Lisa gebracht hat. Man möchte nicht allein sein in schwierigen Situationen. Und sei es der eigene Tod.

„Gestalten Sie Ihre Bestattung“, rät „Simplify your life“. „Schreiben Sie beispielsweise: Bitte setzt mich in einem ganz einfachen Sarg bei, in dem Grab meiner Eltern im Südfriedhof. Es würde mich freuen, wenn ihr mein Lieblingslied: ‚Geh aus mein Herz‘ singt. Ladet nach der Beerdigung alle meine Freunde in den Hirschenwirt ein.“ Südfriedhof! Hirschenwirt! Das kann ich nicht erfüllen. Vielleicht sollte man ein paar Dinge, wenn schon nicht dem Leben, dann doch wenigstens dem Tod überlassen.

Fragen zu Gerüchten?kolumne@taz.de

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