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barbara dribbusch über GerüchteDas Schlachthaus des Doktor K.

Die Angst des Vaters vor dem fliehenden Kinn oder Warum wir doch keine Schönheitschirurgen brauchen

Das Tolle am Journalistenjob ist, dass man private Neugier als berufliches Interesse tarnen kann. Und so kam es, dass ich eines Tages auf Undercover-Recherche bei Dr. K. landete, seines Zeichens Schönheitschirurg in Berlin. Ich wollte mich ganz allgemein über Schönheitsoperationen informieren und ganz speziell über die Bauchfettabsaugung. Jeder hat ja so seine kleine Körpermacke. Die befindet sich übrigens oft im Kopf. Ich kenne viele Beispiele.

Steffen zum Beispiel, mein Friseur. Er sorgt sich, dass er im Alter die schmalen, wie Steffen sagt: „verkniffenen“ Lippen seines Vaters bekommen könnte, und weiß alles über die Techniken des Lippenaufspritzens. Dann mein Bekannter S. An einem Abend kurz vor der Geburt seines ersten Kindes gestand mir S., dass er heimlich Stoßgebete zum Himmel schickte, dass sein Baby nur ja nicht sein fliehendes Kinn erben würde. Er machte sich richtig Sorgen.

Und F. erst. Er erzählte mir einmal, dass er schon in früher Jugend das Gefühl hatte, die angebliche Grobheit seiner Gesichtszüge durch Feinsinn und Charme ausgleichen zu müssen, „ich habe zum Beispiel eine niedrige Stirn“, fand F. Er hatte sich offenbar aus reiner Kompensation zum Frauenhelden entwickelt. Denn keiner konnte so klug wie er parlieren und gleichzeitig seiner weiblichen Gesprächspartnerin das Gefühl geben, einzigartig zu sein und ihn auf unerklärliche Weise zu verwirren.

Die Liste lässt sich verlängern. Theresa zum Beispiel glaubt, dass sie ohne ihre kräftigen Oberschenkel erheblich mehr Verehrer und deshalb ein erheblich tolleres Leben gehabt hätte. V. hingegen hat furchtbare Angst, im Alter die Hamsterbacken ihrer Mutter zu bekommen, was unweigerlich, so V., zum Schrumpfen ihres männlichen Bekanntenkreises führen würde. B. denkt viel über ihre breiten Hüften nach … Ich geriet ins Tagträumen angesichts der vielen Kopf-Körpermacken, bis mich Dr. K.s Stimme unterbrach: „Und nun, gnädige Frau, was stört Sie?“

„Was stört Sie?“ ist die Losung der Schönheitschirurgen, durch die sie sich von anderen Ärzten unterscheiden, die immer nur nach „Beschwerden“ fragen. „Was stört Sie?“ passt auch zu K.s großzügigen Praxisräumen mit den schwarzen Ledersesseln, die eher an eine Anwaltskanzlei erinnern. Durch die Hallen glitten zwei rassige Südamerikanerinnen, und später sollte ich erfahren, dass ausländische Frauen viel weniger Vorbehalte gegen die Schönheitschirurgie haben als die deutsche Frau. „Besonders die Russinnen in Berlin lassen sich alle ihren Busen machen, was glaubst du“, erklärte mir ein Arzt.

Ich teilte also K.mit, was mich störe, und stellte fest, dass ich irgendwann schon mal selbstbewusster geklungen hatte. Es dauerte nur wenige Minuten und Dr. K. kniete vor mir und malte ungeniert mit einem Kugelschreiber auf meinem Bauch herum. Ein Assistent sah zu. „Ein Hohlkreuz hat sie auch noch“, murmelte K. vor sich hin. Ich mag es eigentlich nicht, wenn jemand Fremdes vor mir kniet, auf meinem Bauch herumkritzelt, in der dritten Person über mich spricht und Mundgeruch hat. Ich will auch nicht verschweigen, dass es mir lieber gewesen wäre, wenn K. zu meinem Ansinnen in basses Erstaunen ausgebrochen wäre: „Aber gnä’ Frau, Ihr Bauch! Das haben sie doch nicht nötig!“

Aber so sind Schönheitschirurgen nicht. Sein Assistent zeigte mir stattdessen Computerbilder von jungen, gesunden Frauen, die sich die Oberschenkel hatten absaugen lassen. Keine von ihnen war zuvor dick gewesen. Dann erläuterte mir der Assistent, welche Mieder man nach der Bauchfettabsaugung tragen müsse und dass die auch mal blutig werden könnten.

Eine halbe Stunde später fand ich mich auf der Straße wieder, das Blankoformular zur Einverständniserklärung in der Tasche. Vor meinem inneren Auge erstand plötzlich ein Schlachthaus, in dessen Mittelpunkt Dr. K. operierte.

Das Fett spritzte, als Dr. K. meiner Freundin Theresa die Oberschenkel absaugte, auf dass ihr Leben noch toller würde. Das Blut lief über das Gesicht von V., als er ihre Haut aufklappte, um die Backen nach oben zu ziehen. Dr. K schob ein Kinn-Implantat unter die Gesichtshaut meines Bekannten S. und spritzte in Steffens Lippen eine unbekannte Flüssigkeit. Es war eine Szene, so blutig wie auf einem mittelalterlichen Gemälde. Alle Kopf-Körpermacken weg.

Ich flüchtete mich zu Hennes und Mauritz und erstand billig ein Etuikleid, nicht hauteng, aber doch körpernah geschnitten. Alles war doch eigentlich ganz prima.

„Lass es“, sagte ich zu Steffen bei unserem nächsten Friseurtermin, „lass das mit deinen Lippen. Übrigens wäre mir das nie aufgefallen, wenn du nicht ständig darüber reden würdest. Du siehst aus wie du. Punkt.“ Was nicht nur auf Steffen zutrifft. Sondern auch auf das Baby von S.. Die Kleine erbte nicht das fliehende Kinn des Vaters. Dafür aber die sehr lange Nase seiner Frau. Doch das fällt niemandem auf. Zum Glück.

Fragen zu Gerüchte?kolumne@taz.de

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