aus inselzeiten: Lummer wird 70
Der Raufbold
Inzwischen backt er kleine Brötchen, sein altes Lummerland existiert nicht mehr. Es war klein, eine Insel – wie bei Jim Knopf. Eigentlich hieß sie Westberlin. Vor der Wende. Dort kam er politisch groß raus: Heinrich Lummer. Heute wird der CDU-Politiker 70, und sein neues Eiland ist schon seit neun Jahren das Kunsthistorische Institut der Freien Universität. „Es ist sehr positiv, dass er sich jetzt dem Studium der schönen Künste widmet. Da ist er gut aufgehoben“, sagt Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland, der Lummer viele Jahre erlitten hat.
In der Westberliner Frontstadtatmosphäre der 80er-Jahre, in der jede linke Idee sofort Stalinismusverdacht auf sich zog, konnte Lummerland gedeihen. „Er war ein verbaler Raufbold, ein Held der Müllmänner und Stammtische“, erinnert sich Wieland. „Ein demagogisch denkender und redender Politiker fürs Grobe“, ergänzt der SPD-Abgeordnete Hans-Georg Lorenz, der Lummer seit 40 Jahren kennt. „Ein Landsknecht nach dem Motto: Immer feste druff“, beschreibt Wieland seine Art als Innensenator. Bei den Auseinandersetzungen mit demonstrierenden Studenten und Hausbesetzern habe er die Polizei aufgestachelt und härteres Durchgreifen gefordert. Nachdem 1981 Klaus Jürgen Rattey bei einer Demonstration gegen eine Häuserräumung starb, ließ sich Lummer in Siegerpose vor einem der Häuser fotografieren. Wenig später schließlich begann eine Serie von Skandalen, über die der Senator 1986 stolperte: der Bau-Bestechungsskandal, die Spende an eine rechtsextremistische Gruppe Anfang der Siebziger und die langjährige Affäre mit einer Stasi-Agentin. Lummerland löste sich auf.
„Selbst in der CDU ist er schon lange isoliert“, sagt Wieland, „nach seiner Zeit als Innensenator ist er frei nach rechts gefloatet.“ Von Parteifreunden wurde er sogar als Kandidat für den Vorsitz bei den „Republikaner“ gehandelt. Verena Butalikakis, Generalsekretärin der Berliner CDU, formuliert diplomatisch: „Er ist ein Urgestein der Berliner CDU und ein gutes Beispiel, wie breit das Spektrum einer Volkspartei angelegt ist und angelegt sein sollte.“
Dennoch: „Man wird Lummer in seiner Gesamtpersönlichkeit nicht gerecht, wenn man nur das Schwein in ihm sieht“, sagt der linke SPDler Lorenz. „Er hatte durchaus menschliche Züge.“ Wieland muss lange überlegen, um die zu finden. Dann sagt er: „Er hat in den Achtzigern die erste Berliner Altfallregelung für Flüchtlinge aus dem Libanon eingeführt.“ Sonst aber galt immer der Lummer’sche Dreisatz: Ausländer gleich kriminell gleich Sicherheitsrisiko.
Völlig aufgelöst hat sich Lummerland aber auch heute noch nicht: Seit vier Jahren ist Lummer Ehrenpräsident der ultrarechten „Deutschen Konservativen“ und mobilisiert, wie voriges Jahr im Oktober, auch schon mal 1.000 Menschen, für eine Anti-Volksfront-Kundgebung unterm Funkturm. Am Ende bitten Skinheads um ein Autogramm von ihm. JÜRGEN SCHULZ
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