aufwärtshaken: Steven Küchler boxt jetzt bei den Profis
Mister Hollywood hat Heimweh
Heute Abend, wenn sich die Schickis in der Wichtig-Zone mit einem Glas Sekt warm trinken und der Saal des Berliner Estrel-Hotels halb leer ist, wird Mick Jagger über die Lautsprecher ertönen. Titel: „God gave me everything“, die Einmarschmusik von Steven Küchler. Für seinen ersten Profikampf. Später wird Regina Halmich um die WM fäusteln und Michel Trabant um die Europameisterschaft. Dann hat Küchler seine Handschuhe längst ausgezogen, den Tapeverband von den Händen geschnitten. Er tritt nur im Vorprogramm der Veranstaltung des Universum-Boxstalls auf. Sein Kampf geht über vier Runden. Wenige Minuten mehr als bei den Amateuren. „Das Lied ist auch was für meine Mama“, sagt der 26-Jährige aus Halle, „die betet nämlich täglich für mich.“
Steven Küchler, das war der Amateur mit dem Profigehabe. Seine große Klappe war berüchtigt. Seine Sprüche oft flotter als der Tanz im Ring. Kampfname: „Mister Hollywood“. Er wollte nicht die graue Maus sein, die im medialen Niemandsland der Amateure verloren geht. Küchler sorgte für Aufmerksamkeit. Ein „echter Ossi“ sei er, verkündete er einmal. Wenn er tatsächlich in Hollywood landen sollte, dann müssten die Leute ihn dort auch als echten Ossi zu nehmen wissen. Was das hieß, wusste er selbst nicht so genau. Verbissen vielleicht, selbstgerecht und ein wenig naiv. „Reifungsprozess“ ist ein Wort, das er oft benutzt.
Sieben Mal hat er den Hallenser Chemiepokal gewonnen, ein Turnier, das zu DDR-Zeiten einen guten Ruf genoss und seit der Wende gegen den Strom der Zeit kämpft. Teofilo Stevenson hat beim Chemiepokal geboxt, früher, der Kubaner ist zum Vorbild Küchlers geworden. Profi und echter Ossi, das war immer ein Widerspruch für ihn. Das ging nie zusammen. Profiboxen galt ihm als eine Welt, die von Halbweltlern beherrscht war, in der Bestechung dazugehörte und Ideale nichts taugten. Schon 1992, mit 16, hatte Universum ein Auge auf ihn geworfen. In dem Jahr war er zum zweiten Mal deutscher Junioren-Meister im Weltergewicht (67 kg) geworden und Junioren-Europameister. Er trug als erster Deutscher die Auszeichnung „Bester Boxer des Turniers“. Peter Hanraths, Universum-Geschäftsführer, machte sich im Mercedes SL auf nach Halle, um Küchler in den Stall zu holen. Er ist auf einen eigenwilligen Jugendlichen gestoßen, der eines nicht wollte: sich von diesem Typen „im fetten Mercedes“ über den Tisch ziehen lassen.
Küchler blieb Amateur und träumte vom Olympiasieg. Es sollte nichts damit werden. Die Karriere holperte dahin. Für die Rückschläge machte er Gott und die Welt verantwortlich. Nach einem schweren Autounfall ließ er das Wrack auf einen Achsenbruch untersuchen. Die Polizei sagte, er sei einfach zu schnell gefahren. Als ihn bei Olympia 2000 ein Rumäne im Viertelfinale stoppte, erkannte er die Schuldigen in den Punktrichtern. Diese Zeit sei vorbei, sagt er. „Eine Lernphase“ liege hinter ihm. „Es hat sich gezeigt, dass flotte Sprüche nur bei Topleistungen angebracht sind. Ich bin jetzt zum Mann geworden“, sagt er und es klingt, als habe man ihm ordentlich den Schneid abgekauft.
Sechs Wochen rackerte Küchler in Hamburg unter den Augen von Trainer Fritz Sdunek. Er hatte nach der zweiten Woche furchtbares Heimweh, nach der gewohnten Umgebung, nach seinem Hund „Mozart“ und dem weißen LeBaron Cabrio. „Das Hamburger Gym, das ist so ein Multikulti-Schuppen, viele Russen“, erzählt er in einem Tonfall, als laufe ihm gerade eine Küchenschabe über den Arm. Hamburg, das sei nur als Übergang gedacht. Er will kein gesamtdeutsches Idol werden. „Ich will in meiner Region eine Symbolfigur werden.“
Aber was ist mit den ganz großen Fights gegen Shane Mosley und Vernon Forrest? „Wenn ich reif dafür bin. Im Moment würde ich mir das nicht zutrauen.“ Von seinem heutigen Gegner weiß Küchler nicht viel. Slowake, 24, ein Profikampf. Er muss ihn schlagen. Was sonst. Anfang Oktober ist der nächste Kampf angesetzt. „Natürlich will ich nach oben“, sagt der angehende Diplomtrainer an der Sporthochschule Köln und erklärt dann recht akademisch, wie: mit „neuen Trainingsreizen“, die das „ganze System“ veränderten.
„Mister Hollywood“, fragt er einmal im Gesprächsverlauf, „finden Sie das etwa anstößig?“ Das nicht. Aber vielleicht sollte er sich über einen neuen Künstlernamen Gedanken machen. Vorschlag: „Mister Understatement“. MARKUS VÖLKER
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