aufstand gegen rechts: Autoritärer Antifaschismus
Wie viel moralische Ermahnung und Bevormundung verträgt der Mensch? Bei Jugendlichen weiß man aus jahrhundertelanger Erfahrung: Eltern und Lehrer sind spätestens dann mit ihrer Wertevermittlung gescheitert, wenn der Nachwuchs rebelliert und demonstrativ anders handelt und fühlt, als er soll.
Kommentarvon EBERHARD SEIDEL
Wie häufig lassen sich Bürger ermahnen, etwas gegen den Rechtsradikalismus zu tun, bevor ihnen der Geduldsfaden reißt und sie den Moralaposteln rüde über den Mund fahren? Seit dem Sommer erlebt Deutschland eine Renaissance des Autoritären. Kein Tag vergeht, an dem die Regierenden das Volk nicht auffordern, aufzustehen und hinzusehen. Wolfgang Thierse, Johannes Rau, Gerhard Schröder und all die Hinter- und Vorderbänkler der SPD – ihre Mahnworte sind inflationär und haben längt das Maß des Ver- und des Erträglichen überschritten.
Natürlich ist es zu begrüßen, wenn der Bundestagspräsident auf die Dramatik des Rechtsradikalismus im Osten hinweist. Natürlich ist es ein neuer Ton, wenn der Bundespräsident nachdenklich zum Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheit referiert. Allzu lang musste man darauf verzichten. Aber folgt diesen Reden keine neue Politik, wird die Melodie schnell fad.
Am Wochenende haben nun 25.000 in Düsseldorf gegen rechts demonstriert. In eineinhalb Wochen, am 9. November, werden es in Berlin über 100.000 sein. Ein Erfolg? Vielleicht. Was aber, wenn Tausende nur aus einem autoritären Pflichtgefühl zu den Demonstrationen eilen? Was, wenn sie nur deshalb gegen rechts aufstehen, weil der Kanzler und der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, es so wollen?
Eine Reihe SPD-Politiker und mit ihnen zwei Drittel der Bundesbürger befürworten nicht nur ein NPD-Verbot, sondern auch eines der DVU und der „Republikaner“. Diese Konsequenz ist radikal, und sie erschreckt. Hier will man mit Stumpf und Stiel ausrotten, was dem Ansehen Deutschlands schadet, was so manchen angeblich daran hindert, sich so normal zu fühlen wie jeder andere Europäer.
Zwei Drittel sind für das Verbot aller rechten Parteien, zwei Drittel der Bürger befürworten auch die Todesstrafe. Die Botschaft ist klar: Viele befürworten autoritäre Lösungen für komplexe gesellschaftliche Probleme. Diese Autoritätsfixierung war und ist schon immer die beste Voraussetzung für die Entwicklung rechtsextremer Einstellungen gewesen. Gerade ihr aber muss man entgegentreten.
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