aufreger: Österreich streicht Menschen mit Behinderungen Gelder
Österreichs Regierung wolle „Tausende Menschen mit Beeinträchtigungen in die Armut stürzen“, fürchtet Martin Ladstätter vom Behindertenberatungszentrum Bizeps. Anlass ist eine am Dienstag im Familienausschuss des Nationalrats abgesegnete Gesetzesnovelle, die eigentlich ein ungerechtes Gesetz reparieren sollte.
Hintergrund sind zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs aus dem Jahr 2013 und 2016, wonach Personen, die ihren Lebensunterhalt hauptsächlich aus Mitteln der öffentlichen Hand bestreiten, keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Die österreichische Familienbeihilfe ist dem deutschen Kindergeld ähnlich. Um Menschen mit Behinderung ging es dabei nicht. Schwerbehinderte haben in Österreich auch im Erwachsenenalter Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe, das sind 320 bis 380 Euro monatlich.
Im August stoppten aber die Finanzämter plötzlich die Zahlungen unter Berufung auf die Sprüche des Verwaltungsgerichtshofs. Betroffen sind Menschen über 18, die in betreuten Wohngemeinschaften leben oder für ihre Arbeit in Behindertenwerkstätten oder in Betrieben der Behindertenhilfe nur rund 60 Euro Taschengeld erhalten. Nach einem Aufschrei der Behindertenorganisationen kam Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) in Erklärungsnotstand. Sie versprach baldige Abhilfe. „Eine Schlechterstellung von behinderten Kindern wird es mit uns nicht geben. Wir arbeiten intensiv an einer raschen Reparatur des Gesetzes“, sagte die Ministerin damals der österreichischen Austria-Presseagentur.
Davon kann allerdings keine Rede sein. Die am Dienstag vom Familienausschuss im Nationalrat abgesegnete Novelle, die rückwirkend ab Januar 2016 gelten soll, nimmt Behinderte in Betreuungseinrichtungen und jene, die bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen, ausdrücklich vom Anspruch auf Familienbeihilfe aus. Und zwar mit der Begründung, dass „in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist“.
Herbert Pichler, Präsident des Österreichischen Behindertenrats, kritisiert gegenüber der taz, dass „bei der von der Politik angekündigten Reparatur des Familienausgleichsgesetzes, das Gesetz nicht repariert, sondern teilweise verschlechtert wurde“. Die staatlichen Leistungen decken nur eine Grundversorgung ab. Für Kleidung, Medikamente oder Therapien müssen die Betroffenen selbst aufkommen. Leben die Behinderten bei den Eltern, so müssten diese jeden Monat nachweisen, dass die erhöhte Familienbeihilfe für „behinderungsbedingten Mehraufwand“ ausgeben wird. Birgit Sandler, SPÖ-Sprecherin für Menschen mit Behinderungen, ist beunruhigt: „Es liegt dann im Ermessen des Finanzbeamten, ob dieses Kleidungsstück, jenes Paar Schuh oder Spielzeug eine gerechtfertigte Ausgabe ist.“ Da das Gesetz rückwirkend gelten soll, fürchten Kritiker, dass ausgezahlte Beihilfen zurückgefordert werden. Ralf Leonhard, Wien
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen