auf der suche nach dem spermabaum von KATHRIN PASSIG:
Der Spermabaum blüht im Juni, und wer nachts auf dem Fahrrad an ihm vorbeifährt, gerät in seine verwirrende Dunstglocke. Ich bin es leid, im Vorbeifahren jedesmal stupide „Sperma!“ zu denken, und möchte stattdessen lieber Intelligenteres wie „Lateinischer Name“ denken. Wie sieht das Gewächs bei Tageslicht aus? Riechen andere Leute das auch? Befragte Freunde sagen dankbar „Ach, das geht dir auch so – und ich dachte schon, es liegt an mir“, können aber nicht weiterhelfen. Einer greift sogar hilfsbereit zum Telefon und ruft einen Bekannten an, der sich als schwuler Biologe angeblich mit Spermabäumen auskennt. „Eberesche“, meint der Biologe, und dass es dieses Jahr besonders schlimm sei mit dem Spermabaum, in manchen Straßen müsse er „fast brechen“. Wiewohl er eigentlich nichts gegen Sperma einzuwenden habe. Aber die Eberesche ist ein handliches Bäumchen, kein ordentlicher Baum und riecht bei näherer Untersuchung auch ganz unschuldig.
Eine Suche bei Google erweist sich – wie alle Suchanfragen, die den Begriff „Sperma“ enthalten – als furchtbar fruchtbar, und schon nach wenigen Stunden entschlossenen Bilderkuckens ist der Spermabaum provisorisch als Fraxinus ornus oder „Manna-Esche“ identifiziert. Warum Sperma aber überhaupt nach Sperma riecht und wie der Baum das anstellt, das ist im ansonsten durchaus Sperma-affinen Internet nicht herauszufinden.
War das unbedingt nötig, Natur? Als ob wir’s um diese Jahreszeit nicht auch ohne Spermabaum schon schwer genug hätten und unsere Triebe täglich mit der Heckenschere zurückstutzen müssten. Nur weil der Mensch auf die unappetitliche Idee verfallen ist, Kondome mit Erdbeeraroma oder Dental Dams mit Vanillegeschmack herzustellen, so eine billige Retourkutsche? Zürnt uns Mutter Natur, weil unsere jungen weiblichen Sprosse diesen hässlichen Hang haben, sich die Haare mit müffelndem Melonenshampoo zu waschen? Ist es die Strafe für den Missbrauch von Bruder Baum in Form der Wunderbäumchen „New Car“, „Sportfrische“ und „Fußball“?
Wahrscheinlich hat die Evolution inzwischen die Sache mit der postmodernen, kulturübergreifenden Sexualität spitzgekriegt. Die Eschen fühlen sich nach dem Betrachten von „Sheep fucking young school girls“ und „Two guys licking huge horse dick“ halt ein bisschen komisch. Mit der kategorischen Unterscheidung von Menschen, Tieren, Pflanzen und Steinen soll ja laut Bruno Latour, dem Erfinder des „Parlaments der Dinge“, sowieso demnächst Schluss sein. Es wird wohl am besten sein, man berücksichtigt die Tiere, Pflanzen und Steine dann auch gleich im Jugendschutzgesetz, um sie vor sozialethischer Desorientierung durch für ihre Entwicklungsstufe ungeeignetes Material zu schützen. Man will sich ja nachts im Park nicht auch noch mit 18 Meter großen und zu allem bereiten Triebtätern auseinander setzen müssen.
Bis zum In-Kraft-Treten neuer Regelungen sollten Sie sich vorsichtshalber von Haarshampoos „mit Wirkstoffen aus der Manna-Esche“ fernhalten.
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