auf der alm, da gibt’s koa sünd (teil 4): taz-Sommerreporter JOSEF WINKLER wartet auf die Kühe, die nach Hause kommen
On The Highway To Berchtesgadener Hell
Hallo, hier Bergstation. Verzeihung, ich bin spät dran, weil das Sennerfrühstück wieder so lange gedauert hat. Das wöchentliche Sennerfrühstück ist der gesellschaftliche Top-Event hier oben. Jede Woche richtet ihn ein anderer von den Kollegen aus, dann trifft sich in der Gastgeberhütte ein illustres Häufchen von Sozialberuflerinnen, Betriebshelferinnen, Lebenskünstlern und Starkolumnisten. Und wenn dann die Fachgespräche über eitrige Euterentzündungen, Rinderpsychologie und – ein auffällig immergrünes Thema – bovine Ausscheidungsgewohnheiten ins Kraut schießen, vergehen die Stunden, hach, wie im Flug.
Tjaja, gesellschaftliche Events. Das geht aber auch ungehobelter. Zum Beispiel, wenn man in eine Trinkveranstaltung der (männlichen) Dorfjugend gerät, die oft und gern aus dem Tal herauf- und dann marodierend um die Hütten zieht (bevorzugt freilich um die der weiblichen Kolleginnen, was einen als Melker mithin etwas aus der Schusslinie nimmt). Diese lustigen Burschen heißen merkwürdigerweise offenbar alle Martin (was im Pinzgauer Dialekt noch merkwürdigererweise „Mohschd“ ausgesprochen wird) und verfügen allesamt über eine mir selten untergekommene Ausdauer und Bierförderkapazität.
Solche Umtrünke verlaufen für gewöhnlich recht unterhaltsam. Problematisch wird es erst, wenn man sich dann aus irgendwelchen Drecksspießergründen – Erschöpfung, Ermattung, Ausgelaugtheit, Schwäche, Alter, Altsein – empfehlen möchte.
Ein Trick, den ich von einem abgefeimten Gastwirt gelernt habe: Man verlässt solche Festivitäten am zweckmäßigsten, indem man so tut, als müsse man mal eben aufs Klo. Ganz beiläufig steht man auf – keine verdächtigen Jackenmanöver o. Ä.! –, geht um die Ecke und macht sich davon.
Im Normalfall wird niemand die Fahnenflucht bemerken, zumindest nicht rechtzeitig. Fliegt man aber auf – oder ist naiv genug zu glauben, mit einem Gruß in die Runde und „Ich muss morgen früh raus“ sei die Sache erledigt –, werden ringsum Jungmänner mit glasigen Augen die Köpfe heben, einem unter freundlichem, jegliche Widerrede leutselig im Keim erstickendem Protest auf die Schulter hauen, das Glas voll machen und eine frische Flasche Bier in die Hand drücken. Dieses Ritual wird sich vollziehen, egal ob es drei Uhr nachmittags ist oder drei Uhr morgens. Die Mohschds selber beenden ihre Abende oftmals damit, dass sie irgendwann spontan aus dem Spiel heraus in komatösen Schlaf fallen. Ich habe Männer zusammengerollt auf Küchenherden liegen sehen oder unaufweckbar festbetoniert auf Stühlen zusammengesackt – vor sich, pompejiesk, die noch in unerschüttertem Optimismus entkorkten letzten Bierflaschen, aus denen zwei Zentimeter Flüssigkeit fehlten. Tjaja, gesellschaftliche Events. Oder eben ganz weit draußen. Wie letztens bei der Kollegin, die bierfrohe Junker aus dem Voralpenland zu Besuch hatte. Tipp von einem abgefeimten Melker: Streiten Sie nie mit einem bayerischen Junglandwirt über Edmund Stoiber, wenn Sie müde sind. Und vielleicht lassen Sie ja Renate Künast auch aus dem Spiel. Beim letzten Fläschchen Berchtesgadener Hell stand folgender Antrag im Raum: Gründung einer Alpenrepublik mit Innsbruck als Hauptstadt und Franz Beckenbauer als Nationaltrainer. Was soll ich sagen: Einstimmig verabschiedet.
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