auf augenhöhe: RICHARD ROTHER über Berliner im Umland
Dorftrottel
Wenn es warm wird am Wochenende, hält es niemanden zu Hause. Straßencafés, Parks, Biergärten bevölkern sich – das ist nicht anders als anderswo. Mit einem Unterschied: Die Berliner kehren ihrer Stadt ganz den Rücken. Raus aufs Land, heißt die Devise. Wer in der Stadt bleibt, ist Zugezogener, Tourist oder Taxifahrer.
Die Berliner sind hart im Nehmen: Dass die Brandenburger sie „Bouletten“ heißen, macht ihnen nichts aus – sie nennen die Umländer einfach „Eingeborene“. Beide können sich nicht leiden, aber sie sprechen die gleiche Sprache. Wenn zum Beispiel einer einen angerempelt hat, sagt er zur Entschuldigung: „Pass uff, Alter, det de dir nüscht fängst.“
Solche semantischen Feinheiten sind mir egal, während ich die Dorfstraße von Fredersdorf entlangradele, einem kleinen, aufstrebenden Ort am östlichen Stadtrand. (Früher hieß das Zone, heute Speckgürtel.) In den Gärten plätschern die Rasensprenger, die Ahörner an der Straße spenden Schatten, es riecht nach gegrilltem Fleisch. Nur die Autos nerven. Sie fahren zu schnell und zu dicht vorbei. In meiner Kindheit war das anders, denke ich versonnen. Plötzlich streift mich ein Wagen, wild hupend.
Erbost reiße ich meinen linken Arm hoch und höre auf, in die Pedale zu treten. Das Auto bremst. Der schwarze, rund 15 Jahre alte Mercedes mit den breiten Reifen setzt zurück. Ich frage mich, ob diese Nazi-Dorfdeppen nicht ein einziges Mal Ruhe geben können. Das Auto mit den getönten Scheiben rollt langsam auf mich zu. 20 Meter vor mir bleibt der tiefer gelegte Wagen stehen, ganz links im Nummernschild ist ein „B“ zu erkennen.
Die Fahrertür springt auf, aus dem Auto steigt eine Frau: Mitte 20, schlank, knapp 1,70 Meter groß, bauchfreies T-Shirt, enge Jeans. Die Frau mit dem dunklen Pferdeschwanz kommt auf mich zu, die Arme angewinkelt: „Ick hupe nur zu Deinem Schutz, und wenn de mir nochmal nen Stinkefinger zeigst, dann . . .“
„Kein Grund zu rasen“, antworte ich der Berlinerin, „kiek dir doch mal an, wie scheiße du aussiehst, du Dorftrottel!“ Die graublauen Augen funkeln, die gepiercte Braue zuckt, der Kaugummi fällt auf die Straße. Ruhigen Schrittes geht sie zurück. Nach einigen Sekunden traue ich mich langsam weiter, am dunklen Wagen vorbei. Auf dem Rücksitz sitzt ein Teenager. Die junge Frau auf dem Beifahrersitz bückt sich, damit sich die Raserin in meine Richtung beugen kann. „Reiß dir det nächste Mal zusammen, du blöde Votze!“, ruft die Fahrerin. Einen Moment später gibt die Frau am Steuer Gas. Der Pitbull auf dem Rücksitz bellt, die Reifen quietschen, und der Staub vom Straßenrand legt sich langsam auf meine H&M-Hose.
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