auf augenhöhe: KIRSTEN KÜPPERS über Schießstände und russische Klänge im Haus der Sinne
Verbrecherball
Bei Motto-Partys gelingt es selten, wirklich zu entspannen. Wer jemals auf einer Feier zum Thema „Ben Hur“ war, weiß das. Alles ist mit Weintrauben dekoriert. Die Gäste tragen Bettlaken oder Flokati-Teppiche als römische Kostümierung. Oft haben sie dazu Handtücher auf dem Kopf. Das sieht nicht nur beim Tanzen seltsam ausgeflippt aus. Auch sonst läuft meist vieles aus dem Ruder.
Denn wenn Berliner Altbauwohnungen zu Arenen erklärt werden, kippt die Stimmung schnell. Und schüchternen Menschen – ihrer gewohnten Kleidung und Umgebung beraubt – fällt es bei diesen Zusammenkünften noch schwerer, Kontakte zu knüpfen, als schon bei anderen Gelegenheiten. Trotzdem sind Themenabende immer noch beliebt.
Am vergangenen Samstag veranstaltete zum Beispiel das „Haus der Sinne“ einen „Verbrecherball“. Das „Haus der Sinne“ ist übrigens weder ein Sexclub noch ein Esoterikzentrum, sondern einfach ein Treffpunkt für „Künstler und Verrückte“, erklärt eine Organisatorin im Pelzmantel am Eingang zum Keller. Vorher war man von einem Bärtigen mit Gewehr über einen dunklen Hinterhof eskortiert worden. Jetzt muss man 15 Mark in Spielgeld tauschen. Damit soll man drinnen Wodka kaufen und Roulette spielen.
Überhaupt herrscht dort plüschige Behaglichkeit. Überall stehen Wohnzimmersofas. In einer zweiten Etage haben die Veranstalter Knabbergebäck auf die Tische gestellt. Hinter einem mit Alufolie eingepackten Pult legt ein Mann CDs mit Swingmusik auf. Und um passend zum Motto wie Verbrecher auszusehen, haben sich die männlichen Gäste gestreifte Anzüge und schwere Silberketten angezogen. Viele Frauen tragen Minirock und sehen sehr schön aus.
Doch trotz all dieser Anstrengungen rinnt der Abend ein wenig langsam dahin. Irgendwann haben alle einmal versucht, eine Zigarre zu rauchen. Sonnenbrillen werden auf- und wieder abgesetzt. Ein Liebespärchen wiegt sich schon in der Hollywoodschaukel.
Zu spät hat man den Schießstand entdeckt. Dort erklärt ein heiterer Mann, wie man mit einem Luftgewehr auf ein Polizistenfoto schießt. Vor ihm hat sich ein kleines Besuchergrüppchen gebildet. Und weil es an diesem Abend auch irgendwie um russische Mafia gehen soll, kochen gegenüber zwei Organisatorinnen mit Lockenwicklern im Haar russische Teigtaschen. Das alles wirkt plötzlich dann doch sehr liebevoll von den „Haus der Sinne“-Menschen ausgedacht.
Dementsprechend Mühe gibt sich auch das Publikum. An der Schießbude entschuldigen die Männer ihre schlechten Trefferquoten mit ihrer Zivildienstzeit. Die Frauen geben ihre Tapsigkeit einfach zu. Alle versuchen ein wenig russisch zu reden. Und einer Blondine fällt sogar das polnische Wort für „Gummistiefel“ ein.
Der Höhepunkt des Abends beginnt schließlich, als ein Orgelmusiker endlich sein ganzes Spielgeld beim Roulette verloren hat: Die Band Odessa Soul Brothers kann auftreten. Die Bandmitglieder stammen aus Schweinsdorf, einem kleinen Ort im Oberallgäu. Sie spielen Polkalieder von der Schwarzmeerküste. Und auch wenn „sie nicht wahrhaben wollen, dass sie Deutsche sind“, sagt ein russischer Zuschauer, sei das auswendig gelernte Russisch der Band trotzdem „dem russischen Volke nahe stehend“. Vor allem bringen die Klänge der Elektroorgel und der Balalaika jedoch ein bisschen Wärme in den kalten Berliner Kellerraum. Die hübschen Frauen drehen sich in ihren dünnen Schuhen. Manche ziehen sogar die Mäntel aus. Die Männer wippen stolz gerührt. Und man freut sich auf den Sommer.
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