piwik no script img

auf augenhöheFahrgastbespaßung

U-Bahn-Kino

In Berlin gibt es immer viele neue – also wichtige – Ereignisse, die nicht wirklich neu sind. Die fliegenden Steine in Kreuzberg gehören dazu, die Querelen um die Love Parade; und seit gestern präsentieren die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) eine „Weltpremiere der kulturellen Art“: Kurzfilme in der U-Bahn. Der – gnadenlos überteuerte – Fahrschein soll als Kinokarte herhalten.

Schon vor einem Jahr hat die BVG Wagen der Westberliner Tristesse-Linie U 7, die stundenlang von Rudow nach Spandau zuckeln, mit Monitoren ausgestattet. Damit wurden die Fahrgäste bespaßt, die sich hinter der B.Z. verstecken oder mit ihrem Hund oder Handy herumärgern. Allerdings wollte kaum jemandWerbung schalten – wer U-Bahn fährt, ist eine arme Sau und gehört nicht zur lukrativen Zielgruppe. Daran hat sich wenig geändert, auch heute beschränkt sich das Angebot überwiegend auf Eigen- oder Low-Budget-Werbung. „Menschen haben Angst, verrückt zu werden“, verkündet zum Beispiel ein Krisentelefon.

Der Maurer, der morgens seine Dose Schultheiss zischt, hat es nicht mehr geschafft, die Nummer zu notieren – der Film beginnt schon. Natürlich darf man von Verkehrsbetrieben kein „Traffic“ erwarten, aber wenigstens spielen Gangster auch bei „Ben & Peter“ eine Rolle. Sie verwetten die Kohle ihres Auftraggebers auf der Rennbahn, und irgendwie soll es laut Ankündigung ein Happy End geben. Man versteht das nicht, aber das Finale ist deutlich: Die Helden schreiten Richtung rötlichen Sonnenuntergang. Trotzdem guckt kaum jemand hin. Nicht das knutschende Teeniepärchen, das die Schule schwänzt; nicht der türkische Rentner, der an seiner Gebetskette herumfummelt; nicht der Dealer einer Obdachlosenzeitung oder der Bänkelsänger, die gleichzeitig um die Aufmerksamkeit der Passagiere buhlen. So verpassen denn alle im harten Wettbewerb ums Kleingeld den Spruch des Tages. „Eh du melkst, streichle; eh du bittest, schmeichle!“

Wer auf Klugheiten verzichten kann, fährt mit einer anderen – berühmten – Linie: der 1. Die hat den Vorteil, dass die Passagiere nicht auf einen Bildschirm gucken müssen, sondern aus dem Fenster schauen können, das ach so bunte Kreuzberg bewundernd. Am 1. Mai war das anders. Da hat die BVG den Betrieb eingestellt, damit nicht noch mehr auswärtige Krawallmacher anreisen – die ortsansässigen sieht man mittlerweile häufig mit glücklichen Gesichtern im Waggon. Sie haben es, finden sie, dem Innensenator gezeigt. Und der ärgert sich, dass Chaoten mit „teuren Designer-Sachen“ Steine geschmissen haben. Das stimmt, ich habe es neulich sogar in der U-Bahn gesehen, als ich meinem Nachbarn über die Schulter schielte. Auf dem Foto in der Zeitung waren zwei hipp gekleidete junge Männer zu sehen, die sich vor einer brennenden Barrikade eine Zigarette anzünden. Der Witzbold hat darunter einen Slogan gekrakelt, den im nächsten Jahr vielleicht die Berliner Tourismus-Werbegesellschaft aufgreift: „Come to where the flavour is.“ Auf dem BVG-Bildschirm heißt das übersetzt: „Einfach besser ankommen.“ RICHARD ROTHER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen